Rachel Hawkins - Hex Hall 2 - Dunkle Magie.pdf

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Rachel Hawkins
Dunkle Magie
Roman
Ins Deutsche übertragen von
Michaela Link
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1
An einer normalen Highschool ist es ziemlich genial, wenn der Unterricht an
einem schönen Maitag im Freien stattfindet. Es bedeutet, dass man in der
Sonne sitzt, vielleicht ein paar Gedichte liest und sich eine sanfte Brise durchs
Haar wehen lässt …
An
der
Hecate
Hall,
auch
bekannt
als
»Jugendknast
für
Monster«,
bedeutete es allerdings, dass ich in einen Teich geworfen wurde.
»Verfolgung von Prodigien« stand auf dem Stundenplan, oder besser, wie
wir Prodigien – also alle Monster oder Ungeheuer wie Hexen, Zauberer,
Elfen, Gestaltwandler und Vampire – diese Verfolgung überlebten. Meine
ganze Klasse hatte sich an dem trüben Tümpel auf unserem Schulgelände
versammelt, und die Lehrerin, Ms Vanderlyden – oder die Vandy, wie wir sie
nannten – drehte sich gerade zu Cal um. Cal war mit seinen knapp neunzehn
Jahren der Gärtner unserer Schule und hielt ein aufgerolltes Seil in den
Händen, das ihm die Vandy nun abnahm. Er hatte am Teich auf uns gewartet
und mir bei unserem Eintreffen kaum merklich zugenickt. Das war die Cal-
Version einer stürmischen Begrüßung.
Er gehörte definitiv zu den starken, schweigsamen Typen.
»Haben Sie es mit den Ohren, Miss Mercer?«, fragte die Vandy und knetete
das Seil in ihren Fäusten. »Ich hatte doch gesagt: Kommen Sie nach vorn!«
»Also, Miss Vanderlyden«, erwiderte ich und gab mir alle Mühe, meine
Nervosität zu verbergen, »sehen Sie das hier?« Ich deutete auf meine Locken-
pracht. »Das ist eine Dauerwelle. Die habe ich erst gestern machen lassen,
und insofern … na ja, meine Haare sollten also lieber nicht nass werden.«
Ich hörte gedämpftes Gekicher, und neben mir murmelte meine Mitbe-
wohnerin Jenna: »Nicht schlecht.«
Als ich in Hecate noch ganz neu war, hätte ich mich garantiert nicht
getraut, der Vandy einfach so zu widersprechen. Aber noch während des er-
sten Halbjahres hatte ich miterleben müssen, wie meine Urgroßmutter meine
beste Freundfeindin getötet hat und wie der Junge, in den ich verliebt war,
mit einem Messer auf mich losgegangen ist.
Mittlerweile war ich also ein bisschen abgebrühter.
Allerdings fand die Vandy offenbar keinen Gefallen daran. Ihre ohnehin
schon
mürrische
Miene
verfinsterte
sich
noch
weiter
und
sie
blaffte:
»Hierher, und zwar sofort!«
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Leise gab ich ein paar erlesene kleine Flüche zum Besten und schob mich
zwischen den anderen hindurch. Am Ufer kickte ich achtlos die Schuhe von
den Füßen und streifte die Socken ab, bevor ich mich neben die Vandy in das
seichte Wasser stellte. Unwillkürlich verzog ich das Gesicht, schleimiger Sch-
lick quoll zwischen meinen Zehen hervor.
Die Vandy fesselte mich derart schroff an Händen und Füßen, dass mir das
Seil in die Haut schnitt. Sobald ich komplett verschnürt war, erhob sie sich
und betrachtete mit Zufriedenheit ihr Werk. »So. Dann mal ab in den Teich.«
»Ähm … und wie jetzt?«
Ich hatte schon Angst, sie könnte von mir verlangen, durchs Wasser zu
hüpfen, bis ich ganz darin versank. Diese Demütigung wollte ich mir lieber
gar nicht weiter ausmalen. Doch da trat Cal vor – bestimmt wollte er mich
retten.
»Ich könnte sie vom Steg stoßen, Ms Vanderlyden.«
Oder auch nicht.
»Gut«, sagte die Vandy und nickte energisch, so als sei das die ganze Zeit
schon ihr Plan gewesen. Dann beugte sich Cal vor und nahm mich auf die
Arme.
Wieder hörte ich die anderen kichern – einige seufzten sogar. Mir war
durchaus bewusst, dass die meisten Mädchen ein lebenswichtiges Organ
dafür gegeben hätten, einmal von Cal in die Arme genommen zu werden, aber
ich lief trotzdem knallrot an. War das wirklich weniger peinlich, als ohne
fremde Hilfe in den Teich zu stolpern?
»Du hast ihr gar nicht zugehört, oder?«, fragte er leise, als wir uns von den
anderen entfernten.
»Stimmt«, erwiderte ich. Während die Vandy erklärt hatte, warum über-
haupt einer von uns in den Teich gehen sollte, hatte ich gerade versucht,
Jenna davon zu überzeugen, dass ich tags zuvor eben nicht deshalb zusam-
mengezuckt war, weil mich irgendjemand »Mercer« genannt hatte, so wie
Archer Cross es immer tat. Es war nämlich nicht deswegen gewesen. Und in
der letzten Nacht hatte ich definitiv auch keinen durch und durch real-
istischen Traum von diesem einen Kuss, zu dem es im November zwischen
Archer und mir gekommen war. Denn in dem Traum hatte die Tätowierung
auf seiner Brust gefehlt, die ihn als Mitglied von L’Occhio di Dio ausgewiesen
hätte, und so gesehen hatte es ja auch eigentlich keinen Grund gegeben, mit
dem Küssen aufzuhören, und …
»Und was hast du gemacht?«, fragte Cal.
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Im ersten Augenblick hatte ich gedacht, er meinte meinen Traum, und mir
war schon, als errötete ich am ganzen Körper. Doch dann begriff ich, worauf
er eigentlich hinauswollte.
»Oh, ich habe, äh, ich hab mich mit Jenna unterhalten. Du weißt schon,
Monster-Smalltalk.«
Mir war, als sähe ich wieder den Anflug eines Lächelns auf seinem Gesicht,
aber dann sagte er: »Die Vandy hat erklärt, dass echte Hexen dem Gottesur-
teil durch die Wasserprobe nur dadurch entkommen konnten, dass sie ihr
Ertrinken vortäuschten, um sich dann mit all ihren Kräften unbemerkt zu be-
freien. Sie will also, dass du untergehst und dich dann selbst rettest.«
»Das mit dem Untergehen kriege ich bestimmt hin«, murmelte ich. »Aber
das andere … da bin ich mir nicht so sicher.«
»Du schaffst das schon«, sagte er. »Und wenn du nach ein paar Minuten
nicht wieder auftauchen solltest, werde ich dich retten.«
Zu meiner Überraschung spürte ich dann ein Flattern im Bauch – so etwas
hatte ich seit Archers Verschwinden nicht mehr empfunden. Aber das hatte
wahrscheinlich sowieso nichts zu bedeuten. Cals blondes Haar schimmerte in
der Sonne, und in seinen haselnussbraunen Augen glitzerte das Licht, das
sich im Wasser spiegelte. Außerdem trug er mich mit einer Gelassenheit, als
wäre ich so leicht wie eine Feder. Da war es doch wohl ganz natürlich, Sch-
metterlinge im Bauch zu haben, wenn ein gut aussehender Typ dann auch
noch so etwas Umwerfendes sagte.
»Danke«, lächelte ich. Über seine Schulter hinweg sah ich meine Mom, die
auf der Veranda von Cals ehemaliger Hütte stand und uns beobachtete. Vor
sechs Monaten war sie dort eingezogen, weil wir auf meinen Dad warteten,
der mich abholen und zum Hauptsitz des Rates nach London bringen sollte.
Wir warteten immer noch.
Mom runzelte die Stirn, und ich hätte jetzt gern den Daumen hochgereckt,
um sie wissen zu lassen, dass alles mit mir in Ordnung war. Aber durch die
Fesseln konnte ich ja nur beide Hände gleichzeitig anheben, also verpasste
ich Cal auch noch einen Kinnhaken: »’tschuldigung.«
»Kein Problem. Muss ziemlich merkwürdig für dich sein, dass deine Mom
hier ist.«
»Merkwürdig für mich, merkwürdig für meine Mom und wahrscheinlich
auch merkwürdig für dich. Schließlich musstest du deine heiße Junggesellen-
bude aufgeben.«
»Dafür
hat
mir
Mrs
Casnoff
erlaubt,
den
herzförmigen
Whirlpool
in
meinem neuen Zimmer im Wohnheim zu installieren.«
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