Nachtstücke - E. T. A. Hoffmann.pdf

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The Project Gutenberg EBook of Nachtstuecke, by E.T.A. Hoffmann
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Title: Nachtstuecke
Author: E.T.A. Hoffmann
Release Date: August, 2004 [EBook #6341] [Yes, we are more than one year ahead of schedule]
[This file was first posted on November 28, 2002]
Edition: 10
Language: German
*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, NACHTSTUECKE ***
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online.de), (reuter@abc.de), and Gunter Hille (hille@abc.de).
Nachtstücke
Erzählungen von E.T.A. Hoffmann
Erster Teil
Der Sandmann
Ignaz Denner
Die Jesuitenkirche in G.
Das Sanctus
Zweiter Teil
Das öde Haus
Das Majorat
Das Gelübde
Das steinerne Herz
Erster Teil
Der Sandmann
Nathanael an Lothar
Gewiß seid Ihr alle voll Unruhe, daß ich so lange - lange nicht geschrieben. Mutter zürnt wohl, und
Clara mag glauben, ich lebe hier in Saus und Braus und vergesse mein holdes Engelsbild, so tief
mir in Herz und Sinn eingeprägt, ganz und gar. - Dem ist aber nicht so; täglich und stündlich
gedenke ich Eurer aller und in süßen Träumen geht meines holden Clärchens freundliche Gestalt
vorüber und lächelt mich mit ihren hellen Augen so anmutig an, wie sie wohl pflegte, wenn ich zu
Euch hineintrat. - Ach wie vermochte ich denn Euch zu schreiben, in der zerrissenen Stimmung des
Geistes, die mir bisher alle Gedanken verstörte! - Etwas Entsetzliches ist in mein Leben getreten! -
Dunkle Ahnungen eines gräßlichen mir drohenden Geschicks breiten sich wie schwarze
Wolkenschatten über mich aus, undurchdringlich jedem freundlichen Sonnenstrahl. - Nun soll ich
Dir sagen, was mir widerfuhr. Ich muß es, das sehe ich ein, aber nur es denkend, lacht es wie toll
aus mir heraus. - Ach mein herzlieber Lothar! wie fange ich es denn an, Dich nur einigermaßen
empfinden zu lassen, daß das, was mir vor einigen Tagen geschah, denn wirklich mein Leben so
feindlich zerstören konnte! Wärst Du nur hier, so könntest Du selbst schauen; aber jetzt hältst Du
mich gewiß für einen aberwitzigen Geisterseher. - Kurz und gut, das Entsetzliche, was mir geschah,
dessen tödlichen Eindruck zu vermeiden ich mich vergebens bemühe, besteht in nichts anderm, als
daß vor einigen Tagen, nämlich am 30. Oktober mittags um 12 Uhr, ein Wetterglashändler in meine
Stube trat und mir seine Ware anbot. Ich kaufte nichts und drohte, ihn die Treppe herabzuwerfen,
worauf er aber von selbst fortging.
Du ahnest, daß nur ganz eigne, tief in mein Leben eingreifende Beziehungen diesem Vorfall
Bedeutung geben können, ja, daß wohl die Person jenes unglückseligen Krämers gar feindlich auf
mich wirken muß. So ist es in der Tat. Mit aller Kraft fasse ich mich zusammen, um ruhig und
geduldig Dir aus meiner frühern Jugendzeit so viel zu erzählen, daß Deinem regen Sinn alles klar
und deutlich in leuchtenden Bildern aufgehen wird. Indem ich anfangen will, höre ich Dich lachen
und Clara sagen: »Das sind ja rechte Kindereien!« - Lacht, ich bitte Euch, lacht mich recht herzlich
aus! - ich bitt Euch sehr! - Aber Gott im Himmel! die Haare sträuben sich mir und es ist, als flehe
ich Euch an, mich auszulachen, in wahnsinniger Verzweiflung, wie Franz Moor den Daniel. - Nun
fort zur Sache!
Außer dem Mittagsessen sahen wir, ich und mein Geschwister, tagüber den Vater wenig. Er mochte
mit seinem Dienst viel beschäftigt sein. Nach dem Abendessen, das alter Sitte gemäß schon um
sieben Uhr aufgetragen wurde, gingen wir alle, die Mutter mit uns, in des Vaters Arbeitszimmer und
setzten uns um einen runden Tisch. Der Vater rauchte Tabak und trank ein großes Glas Bier dazu.
Oft erzählte er uns viele wunderbare Geschichten und geriet darüber so in Eifer, daß ihm die Pfeife
immer ausging, die ich, ihm brennend Papier hinhaltend, wieder anzünden mußte, welches mir denn
ein Hauptspaß war. Oft gab er uns aber Bilderbücher in die Hände, saß stumm und starr in seinem
Lehnstuhl und blies starke Dampfwolken von sich, daß wir alle wie im Nebel schwammen. An
solchen Abenden war die Mutter sehr traurig und kaum schlug die Uhr neun, so sprach sie: »Nun
Kinder! - zu Bette! zu Bette! der Sandmann kommt, ich merk es schon.« Wirklich hörte ich dann
jedesmal etwas schweren langsamen Tritts die Treppe heraufpoltern; das mußte der Sandmann sein.
Einmal war mir jenes dumpfe Treten und Poltern besonders graulich; ich frug die Mutter, indem sie
uns fortführte: »Ei Mama! wer ist denn der böse Sandmann, der uns immer von Papa forttreibt? -
wie sieht er denn aus?« - »Es gibt keinen Sandmann, mein liebes Kind«, erwiderte die Mutter:
»wenn ich sage, der Sandmann kommt, so will das nur heißen, ihr seid schläfrig und könnt die
Augen nicht offen behalten, als hätte man euch Sand hineingestreut.« - Der Mutter Antwort
befriedigte mich nicht, ja in meinem kindischen Gemüt entfaltete sich deutlich der Gedanke, daß die
Mutter den Sandmann nur verleugne, damit wir uns vor ihm nicht fürchten sollten, ich hörte ihn ja
immer die Treppe heraufkommen. Voll Neugierde, Näheres von diesem Sandmann und seiner
Beziehung auf uns Kinder zu erfahren, frug ich endlich die alte Frau, die meine jüngste Schwester
wartete: was denn das für ein Mann sei, der Sandmann? »Ei Thanelchen«, erwiderte diese, »weißt
du das noch nicht? Das ist ein böser Mann, der kommt zu den Kindern, wenn sie nicht zu Bett
gehen wollen und wirft ihnen Händevoll Sand in die Augen, daß sie blutig zum Kopf
herausspringen, die wirft er dann in den Sack und trägt sie in den Halbmond zur Atzung für seine
Kinderchen; die sitzen dort im Nest und haben krumme Schnäbel, wie die Eulen, damit picken sie
der unartigen Menschenkindlein Augen auf.« - Gräßlich malte sich nun im Innern mir das Bild des
grausamen Sandmanns aus; sowie es abends die Treppe heraufpolterte, zitterte ich vor Angst und
Entsetzen. Nichts als den unter Tränen hergestotterten Ruf. »Der Sandmann! der Sandmann! «
konnte die Mutter aus mir herausbringen. Ich lief darauf in das Schlafzimmer, und wohl die ganze
Nacht über quälte mich die fürchterliche Erscheinung des Sandmanns. - Schon alt genug war ich
geworden, um einzusehen, daß das mit dem Sandmann und seinem Kindernest im Halbmonde, so
wie es mir die Wartefrau erzählt hatte, wohl nicht ganz seine Richtigkeit haben könne; indessen
blieb mir der Sandmann ein fürchterliches Gespenst, und Grauen - Entsetzen ergriff mich, wenn ich
ihn nicht allein die Treppe heraufkommen, sondern auch meines Vaters Stubentür heftig aufreißen
und hineintreten hörte. Manchmal blieb er lange weg, dann kam er öfter hintereinander. Jahrelang
dauerte das, und nicht gewöhnen konnte ich mich an den unheimlichen Spuk, nicht bleicher wurde
in mir das Bild des grausigen Sandmanns. Sein Umgang mit dem Vater fing an meine Fantasie
immer mehr und mehr zu beschäftigen: den Vater darum zu befragen hielt mich eine
unüberwindliche Scheu zurück, aber selbst - selbst das Geheimnis zu erforschen, den fabelhaften
Sandmann zu sehen, dazu keimte mit den Jahren immer mehr die Lust in mir empor. Der Sandmann
hatte mich auf die Bahn des Wunderbaren, Abenteuerlichen gebracht, das so schon leicht im
kindlichen Gemüt sich einnistet. Nichts war mir lieber, als schauerliche Geschichten von Kobolten,
Hexen, Däumlingen usw. zu hören oder zu lesen; aber obenan stand immer der Sandmann, den ich
in den seltsamsten, abscheulichsten Gestalten überall auf Tische, Schränke und Wände mit Kreide,
Kohle, hinzeichnete. Als ich zehn Jahre alt geworden, wies mich die Mutter aus der Kinderstube in
ein Kämmerchen, das auf dem Korridor unfern von meines Vaters Zimmer lag. Noch immer mußten
wir uns, wenn auf den Schlag neun Uhr sich jener Unbekannte im Hause hören ließ, schnell
entfernen. In meinem Kämmerchen vernahm ich, wie er bei dem Vater hineintrat und bald darauf
war es mir dann, als verbreite sich im Hause ein feiner seltsam riechender Dampf. Immer höher mit
der Neugierde wuchs der Mut, auf irgend eine Weise des Sandmanns Bekanntschaft zu machen. Oft
schlich ich schnell aus dem Kämmerchen auf den Korridor, wenn die Mutter vorübergegangen, aber
nichts konnte ich erlauschen, denn immer war der Sandmann schon zur Türe hinein, wenn ich den
Platz erreicht hatte, wo er mir sichtbar werden mußte. Endlich von unwiderstehlichem Drange
getrieben, beschloß ich, im Zimmer des Vaters selbst mich zu verbergen und den Sandmann zu
erwarten.
An des Vaters Schweigen, an der Mutter Traurigkeit merkte ich eines Abends, daß der Sandmann
kommen werde; ich schützte daher große Müdigkeit vor, verließ schon vor neun Uhr das Zimmer
und verbarg mich dicht neben der Türe in einen Schlupfwinkel. Die Haustür knarrte, durch den Flur
ging es, langsamen, schweren, dröhnenden Schrittes nach der Treppe. Die Mutter eilte mit dem
Geschwister mir vorüber. Leise - leise öffnete ich des Vaters Stubentür. Er saß, wie gewöhnlich,
stumm und starr den Rücken der Türe zugekehrt, er bemerkte mich nicht, schnell war ich hinein und
hinter der Gardine, die einem gleich neben der Türe stehenden offnen Schrank, worin meines Vaters
Kleider hingen, vorgezogen war. - Näher - immer näher dröhnten die Tritte - es hustete und scharrte
und brummte seltsam draußen. Das Herz bebte mir vor Angst und Erwartung. - Dicht, dicht vor der
Türe ein scharfer Tritt - ein heftiger Schlag auf die Klinke, die Tür springt rasselnd auf! - Mit
Gewalt mich ermannend gucke ich behutsam hervor. Der Sandmann steht mitten in der Stube vor
meinem Vater, der helle Schein der Lichter brennt ihm ins Gesicht! - Der Sandmann, der
fürchterliche Sandmann ist der alte Advokat Coppelius, der manchmal bei uns zu Mittage ißt!
Aber die gräßlichste Gestalt hätte mir nicht tieferes Entsetzen erregen können, als eben dieser
Coppelius. - Denke Dir einen großen breitschultrigen Mann mit einem unförmlich dicken Kopf,
erdgelbem Gesicht, buschigten grauen Augenbrauen, unter denen ein Paar grünliche Katzenaugen
stechend hervorfunkeln, großer, starker über die Oberlippe gezogener Nase. Das schiefe Maul
verzieht sich oft zum hämischen Lachen; dann werden auf den Backen ein paar dunkelrote Flecke
sichtbar und ein seltsam zischender Ton fährt durch die zusammengekniffenen Zähne. Coppelius
erschien immer in einem altmodisch zugeschnittenen aschgrauen Rocke, eben solcher Weste und
gleichen Beinkleidern, aber dazu schwarze Strümpfe und Schuhe mit kleinen Steinschnallen. Die
kleine Perücke reichte kaum bis über den Kopfwirbel heraus, die Kleblocken standen hoch über den
großen roten Ohren und ein breiter verschlossener Haarbeutel starrte von dem Nacken weg, so daß
man die silberne Schnalle sah, die die gefältelte Halsbinde schloß. Die ganze Figur war überhaupt
widrig und abscheulich; aber vor allem waren uns Kindern seine großen knotigten, haarigten Fäuste
zuwider, so daß wir, was er damit berührte, nicht mehr mochten. Das hatte er bemerkt und nun war
es seine Freude, irgend ein Stückchen Kuchen, oder eine süße Frucht, die uns die gute Mutter
heimlich auf den Teller gelegt, unter diesem, oder jenem Vorwande zu berühren, daß wir, helle
Tränen in den Augen, die Näscherei, der wir uns erfreuen sollten, nicht mehr genießen mochten vor
Ekel und Abscheu. Ebenso machte er es, wenn uns an Feiertagen der Vater ein klein Gläschen süßen
Weins eingeschenkt hatte. Dann fuhr er schnell mit der Faust herüber, oder brachte wohl gar das
Glas an die blauen Lippen und lachte recht teuflisch, wenn wir unsern Ärger nur leise schluchzend
äußern durften. Er pflegte uns nur immer die kleinen Bestien zu nennen; wir durften, war er
zugegen, keinen Laut von uns geben und verwünschten den häßlichen, feindlichen Mann, der uns
recht mit Bedacht und Absicht auch die kleinste Freude verdarb. Die Mutter schien ebenso, wie wir,
den widerwärtigen Coppelius zu hassen; denn so wie er sich zeigte, war ihr Frohsinn, ihr heiteres
unbefangenes Wesen umgewandelt in traurigen, düstern Ernst. Der Vater betrug sich gegen ihn, als
sei er ein höheres Wesen, dessen Unarten man dulden und das man auf jede Weise bei guter Laune
erhalten müsse. Er durfte nur leise andeuten und Lieblingsgerichte wurden gekocht und seltene
Weine kredenzt.
Als ich nun diesen Coppelius sah, ging es grausig und entsetzlich in meiner Seele auf, daß ja
niemand anders, als er, der Sandmann sein könne, aber der Sandmann war mir nicht mehr jener
Popanz aus dem Ammenmärchen, der dem Eulennest im Halbmonde Kinderaugen zur Atzung holt -
nein! - ein häßlicher gespenstischer Unhold, der überall, wo er einschreitet, Jammer - Not -
zeitliches, ewiges Verderben bringt.
Ich war fest gezaubert. Auf die Gefahr entdeckt, und, wie ich deutlich dachte, hart gestraft zu
werden, blieb ich stehen, den Kopf lauschend durch die Gardine hervorgestreckt. Mein Vater
empfing den Coppelius feierlich. »Auf! - zum Werk«, rief dieser mit heiserer, schnurrender Stimme
und warf den Rock ab. Der Vater zog still und finster seinen Schlafrock aus und beide kleideten sich
in lange schwarze Kittel. Wo sie die hernahmen, hatte ich übersehen. Der Vater öffnete die Flügeltür
eines Wandschranks; aber ich sah, daß das, was ich solange dafür gehalten, kein Wandschrank,
sondern vielmehr eine schwarze Höhlung war, in der ein kleiner Herd stand. Coppelius trat hinzu
und eine blaue Flamme knisterte auf dem Herde empor. Allerlei seltsames Geräte stand umher. Ach
Gott! - wie sich nun mein alter Vater zum Feuer herabbückte, da sah er ganz anders aus. Ein
gräßlicher krampfhafter Schmerz schien seine sanften ehrlichen Züge zum häßlichen widerwärtigen
Teufelsbilde verzogen zu haben. Er sah dem Coppelius ähnlich. Dieser schwang die glutrote Zange
und holte damit hellblinkende Massen aus dem dicken Qualm, die er dann emsig hämmerte. Mir
war es als würden Menschengesichter ringsumher sichtbar, aber ohne Augen - scheußliche, tiefe
schwarze Höhlen statt ihrer. »Augen her, Augen her!« rief Coppelius mit dumpfer dröhnender
Stimme. Ich kreischte auf von wildem Entsetzen gewaltig erfaßt und stürzte aus meinem Versteck
heraus auf den Boden. Da ergriff mich Coppelius, »kleine Bestie! - kleine Bestie!« meckerte er
zähnfletschend! - riß mich auf und warf mich auf den Herd, daß die Flamme mein Haar zu sengen
begann: »Nun haben wir Augen - Augen - ein schön Paar Kinderaugen.« So flüsterte Coppelius, und
griff mit den Fäusten glutrote Körner aus der Flamme, die er mir in die Augen streuen wollte. Da
hob mein Vater flehend die Hände empor und rief. »Meister! Meister! laß meinem Nathanael die
Augen - laß sie ihm!« Coppelius lachte gellend auf und rief. »Mag denn der Junge die Augen
behalten und sein Pensum flennen in der Welt; aber nun wollen wir doch den Mechanismus der
Hände und der Füße recht observieren.« Und damit faßte er mich gewaltig, daß die Gelenke
knackten, und schrob mir die Hände ab und die Füße und setzte sie bald hier, bald dort wieder ein.
»'s steht doch überall nicht recht! 's gut so wie es war! - Der Alte hat's verstanden!« So zischte und
lispelte Coppelius; aber alles um mich her wurde schwarz und finster, ein jäher Krampf durchzuckte
Nerv und Gebein - ich fühlte nichts mehr. Ein sanfter warmer Hauch glitt über mein Gesicht, ich
erwachte wie aus dem Todesschlaf, die Mutter hatte sich über mich hingebeugt. »Ist der Sandmann
noch da?« stammelte ich. »Nein, mein liebes Kind, der ist lange, lange fort, der tut dir keinen
Schaden!« - So sprach die Mutter und küßte und herzte den wiedergewonnenen Liebling.
Was soll ich Dich ermüden, mein herzlieber Lothar! was soll ich so weitläufig einzelnes
hererzählen, da noch so vieles zu sagen übrig bleibt? Genug! - ich war bei der Lauscherei entdeckt,
und von Coppelius gemißhandelt worden. Angst und Schrecken hatten mir ein hitziges Fieber
zugezogen, an dem ich mehrere Wochen krank lag. »Ist der Sandmann noch da?« - Das war mein
erstes gesundes Wort und das Zeichen meiner Genesung, meiner Rettung. - Nur noch den
schrecklichsten Moment meiner Jugendjahre darf ich Dir erzählen; dann wirst Du überzeugt sein,
daß es nicht meiner Augen Blödigkeit ist, wenn mir nun alles farblos erscheint, sondern, daß ein
dunkles Verhängnis wirklich einen trüben Wolkenschleier über mein Leben gehängt hat, den ich
vielleicht nur sterbend zerreiße.
Coppelius ließ sich nicht mehr sehen, es hieß, er habe die Stadt verlassen.
Ein Jahr mochte vergangen sein, als wir der alten unveränderten Sitte gemäß abends an dem runden
Tische saßen. Der Vater war sehr heiter und erzählte viel Ergötzliches von den Reisen, die er in
seiner Jugend gemacht. Da hörten wir, als es neune schlug, plötzlich die Haustür in den Angeln
knarren und langsame eisenschwere Schritte dröhnten durch den Hausflur die Treppe herauf. »Das
ist Coppelius«, sagte meine Mutter erblassend. »Ja! - es ist Coppelius«, wiederholte der Vater mit
matter gebrochener Stimme. Die Tränen stürzten der Mutter aus den Augen. »Aber Vater, Vater!«
rief sie, »muß es denn so sein?« - »Zum letzten Male!« erwiderte dieser, »zum letzten Male kommt
er zu mir, ich verspreche es dir. Geh nur, geh mit den Kindern! - Geht - geht zu Bette! Gute Nacht!«
Mir war es, als sei ich in schweren kalten Stein eingepreßt - mein Atem stockte! - Die Mutter ergriff
mich beim Arm als ich unbeweglich stehen blieb: »Komm Nathanael, komme nur!« Ich ließ mich
fortführen, ich trat in meine Kammer. »Sei ruhig, sei ruhig, lege dich ins Bette! - schlafe - schlafe«,
rief mir die Mutter nach; aber von unbeschreiblicher innerer Angst und Unruhe gequält, konnte ich
kein Auge zutun. Der verhaßte abscheuliche Coppelius stand vor mir mit funkelnden Augen und
lachte mich hämisch an, vergebens trachtete ich sein Bild los zu werden. Es mochte wohl schon
Mitternacht sein, als ein entsetzlicher Schlag geschah, wie wenn ein Geschütz losgefeuert würde.
Das ganze Haus erdröhnte, es rasselte und rauschte bei meiner Türe vorüber, die Haustüre wurde
klirrend zugeworfen. »Das ist Coppelius!« rief ich entsetzt und sprang aus dem Bette. Da kreischte
es auf in schneidendem trostlosen Jammer, fort stürzte ich nach des Vaters Zimmer, die Türe stand
offen, erstickender Dampf quoll mir entgegen, das Dienstmädchen schrie: »Ach, der Herr! - der
Herr!« - Vor dem dampfenden Herde auf dem Boden lag mein Vater tot mit schwarz verbranntem
gräßlich verzerrtem Gesicht, um ihn herum heulten und winselten die Schwestern - die Mutter
ohnmächtig daneben! - »Coppelius, verruchter Satan, du hast den Vater erschlagen!« - So schrie ich
auf, mir vergingen die Sinne. Als man zwei Tage darauf meinen Vater in den Sarg legte, waren seine
Gesichtszüge wieder mild und sanft geworden, wie sie im Leben waren. Tröstend ging es in meiner
Seele auf, daß sein Bund mit dem teuflischen Coppelius ihn nicht ins ewige Verderben gestürzt
haben könne.
Die Explosion hatte die Nachbarn geweckt, der Vorfall wurde ruchtbar und kam vor die Obrigkeit,
welche den Coppelius zur Verantwortung vorfordern wollte. Der war aber spurlos vom Orte
verschwunden.
Wenn ich Dir nun sage, mein herzlieber Freund! daß jener Wetterglashändler eben der verruchte
Coppelius war, so wirst Du mir es nicht verargen, daß ich die feindliche Erscheinung als schweres
Unheil bringend deute. Er war anders gekleidet, aber Coppelius' Figur und Gesichtszüge sind zu tief
in mein Innerstes eingeprägt, als daß hier ein Irrtum möglich sein sollte. Zudem hat Coppelius nicht
einmal seinen Namen geändert. Er gibt sich hier, wie ich höre, für einen piemontesischen
Mechanikus aus, und nennt sich Giuseppe Coppola.
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