GRUNDWORTSCHATZ DES ALTIRISCHEN.pdf

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DER GRUNDWORTSCHATZ DES ALTIRISCHEN
DER GRUNDWORTSCHATZ DES ALTIRISCHEN
Inaugural-Dissertation
zur
Erlangung der Doktorwürde
der
Philosophischen Fakultät
der
Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität
zu Bonn
vorgelegt von
Martina Lucht
aus
Sieglar (jetzt Troisdorf)
Bonn 2007
Gedruckt mit der Genehmigung der Philosophischen Fakultät
der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Zusammensetzung der Prüfungskommission:
Vorsitzender: Prof. Dr. Karl Reichl, Institut für Anglistik, Amerikanistik und Keltologie
Betreuer und Gutachter: Prof. Dr. Karl Horst Schmidt, Institut für Anglistik,
Amerikanistik und Keltologie
Gutachter: Prof. Dr. Stefan Zimmer, Institut für Anglistik, Amerikanistik und Keltologie
Weiteres prüfungsberechtigtes Mitglied: Prof. Dr. Heinrich Beck, Institut für
Germanistik, Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft
Tag der mündlichen Prüfung: 11.04.2006
Diese Dissertation ist auf dem Hochschulschriftenserver der ULB Bonn
http://hss.ulb.uni-bonn.de/diss_online elektronisch publiziert.
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Vorwort
Vorwort
Die vorliegende Arbeit ist die Druckfassung der Dissertation, die im März 2006 von der
Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität angenommen wurde.
All den Personen, die mich auf vielfältige Weise bei der Fertigstellung dieser Dissertation unterstützt
haben, sei hiermit ausdrücklich gedankt; dennoch bin ich selbstverständlich für den Inhalt und alle
darin enthaltenen Fehler und Unzulänglichkeiten allein verantwortlich.
Besonderer Dank gebührt meinem “Doktorvater“, Herrn Prof. Dr. Karl Horst Schmidt. der die Arbeit
angeregt und über Jahre hinweg geduldig betreut hat. Darüber hinaus danke ich auch dem Zweit-
gutachter, Herrn Prof. Dr. Stefan Zimmer, für zahlreiche zusätzliche Anregungen, die in die Druck-
version eingeflossen sind.
Des weiteren bedanke ich mich bei Stefan Schuster † für Unterstützung in technischen Belangen,
insbesondere die Erstellung der Sonderzeichensätze. Bei Christiane Batke und Gwenael Beaujean
bedanke ich mich für wertvolle Hinweise zum Britannischen, insbesondere zum Bretonischen.
Nicht zuletzt gilt mein Dank meinen Eltern: Meinem Vater für das Korrekturlesen der verschiedenen
Versionen, meiner Mutter † für die stetige Ermutigung, die Arbeit an dieser Dissertation trotz zahl-
reicher Hindernisse zu Ende zu führen. Ihnen widme ich dieses Buch.
Martina Lucht
Rheinbach, im Juni 2007
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Einleitung
Einleitung: Zielsetzung und Definitionen
Das Ziel der vorliegenden Dissertation besteht darin, den sogenannten Grundwortschatz (GWS) des
Altirischen zu analysieren, und zwar unter folgenden Aspekten:
a) synchronisch : Dies beinhaltet die Bestandsaufnahme des Materials und die Bewertung hinsichtlich
der Zugehörigkeit zum Grundwortschatz anhand des Kriteriums “semantische Unmarkiertheit”.
b) diachronisch : Dies bedeutet zum einen die etymologische Rückführung der Elemente des Grund-
wortschatzes auf rekonstruierte proto-keltische 1 bzw. proto-indogermanische 2 Formen, zum
anderen auch die Untersuchung der weiteren etymologischen Entwicklung bis hin zum Neuirischen.
Innerhalb dieses historischen Rahmens wird versucht, jeweils ein Bild darüber zu gewinnen, ob ein
Element des Grundwortschatzes beibehalten oder durch eine Neubildung oder ein Lehnwort ersetzt
wurde und für welches Sprachstadium ein solcher Ersetzungsvorgang zu datieren ist.
c) vergleichend : Der etymologisch Vergleich mit anderen keltischen bzw. indogermanischen Sprachen
ist erforderlich, um die unter b) genannten Entwicklungen zu belegen. Des weiteren sind Hypo-
thesen in bezug auf semantische Entwicklungen häufig durch – nicht auf genetischer Verwandt-
schaft beruhende – Parallelen in anderen (auch nicht-indogermanischen) Sprachen verifizierbar.
Abschließend soll die Gesamtheit der Befunde dazu verwendet werden, einen Überblick über den
Anteil der ersetzten (geneuerten) Elemente 3 im Vergleich zu den erhaltenen Elementen zu gewinnen
und daraus eventuell Rückschlüsse auf die Stellung des Altirischen innerhalb der keltischen bzw.
indogermanischen Sprachen abzuleiten. Außerdem sollen eventuelle Einflüsse durch benachbarte
Sprachen oder durch Super- bzw. Substrate 4 aufgezeigt werden.
In bezug auf lexikalische Neuerungen des Kelt. gegenüber dem Proto-Idg. unterscheidet SCHMIDT
2000, S. 439 drei Gruppen von Lexemen: 5
(1) Fälle, in denen das idg. Erbwort in genereller Verwendung bewahrt ist;
(2) Fälle, in denen das idg. Erbwort in reduzierter Verwendung als Archaismus bewahrt ist;
(3) Fälle, in denen das idg. Erbwort vollständig durch ein neues Lexem verdrängt wurde
(ebd.; weitere Prinzipien ebd., S. 443 f.). Wie weiter unten im Kapitel “Ergebnisse und Schluß-
folgerungen” gezeigt wird, ist auf dieser Basis eine weitere Differenzierung möglich, nämlich abhängig
von der Art der Innovation (Entlehnung, Neubildung mit ererbtem Material, semantische
Verschiebung). Im Fall der semantischen Verschiebung ist das funktionale Prinzip von KURYºOWICZ
(1956, S. 12 ff.; vgl. 1964, S. 11) in die Betrachtungen einzubeziehen, wonach eine Form häufig in
ihrer Hauptfunktion durch eine andere Form ersetzt wird, während sie in einer Nebenfunktion erhalten
bleibt (vgl. SCHMIDT ebd.; 1976a, S. 335 f.). Diese ursprünglich für den Bereich der Flexion geltende
Beobachtung läßt sich durchaus auch auf andere sprachliche Ebenen – wie das Lexikon – übertragen.
Daraus ergibt sich als eine weitere Untergruppe diejenige der Lexeme, deren Form zwar erhalten,
deren Bedeutung jedoch geneuert worden ist. Eines der Ziele dieser Arbeit besteht darin, den Anteil
der betreffenden Gruppen am GWS zu ermitteln.
1 Unter “proto-keltisch” (proto-kelt.) wird hier die aus den belegten keltischen Sprachen rekonstruierte keltische
Grundsprache verstanden; unter “proto-indogermanisch” (proto-idg.) die aus den belegten indogermanischen
Einzelsprachen rekonstruierte Grundsprache. Die so gewonnenen Proto-Sprachen werden damit eindeutig als
theoretische Rekonstrukte gekennzeichnet, die zwar mit dem Ziel gewonnen wurden, historische Realität
widerzuspiegeln, die diesem Anspruch jedoch nicht notwendigerweise genügen. Entsprechend werden
Elemente von Proto-Sprachen – wie allgemein üblich – durch Davorstellen eines Asterisks (*) als rekon-
struierte Formen gekennzeichnet. Demgegenüber werden die Bezeichnungen “keltisch” (kelt.) bzw. “indo-
germanisch” (idg.) als Oberbegriffe für belegte Sprachformen der jeweiligen Gruppe verwendet.
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S. die vorangehende Fußnote.
Eine Beschreibung verschiedener Typen von Ersatzbildungen im Bereich des Lexikons bietet WACHTER
1998, vgl. beS. die Zusammenfassung ebd. S. 207.
4 Zur Frage vorkeltischer Substrate vgl. z.B. K.H. SCHMIDT 1990b, S. 190 f.
5 Diese Kriterien lassen sich selbstverständlich auch auf alle anderen Sprachzweige und -familien anwenden.
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Einleitung
Unter “Keltisch” ist eine Gruppe von Sprachen zu verstehen, die durch ein Bündel gemeinsamer
Merkmale (die auf verschiedenen Sprachebenen angesiedelt sind) definiert sind und sich in diesen
Merkmalen von anderen idg. Sprachen unterscheiden (vgl. RUSSELL 1995b, S. 10 ff.; SCHMIDT
1976a, S. 330 zur Definition von “Common Celtic”). Das wichtigste dieser Merkmale ist der Schwund
von proto-idg. *p . Weitere Merkmale hat das Keltische mit anderen Sprachfamilien gemeinsam
(S. unten).
Was die Stellung des Keltischen innerhalb der indogermanischen Sprachen betrifft, so sind neben (a)
Archaismen auch (b) verschiedene Neuerungen (auf verschiedenen Sprachebenen) auszumachen, die
das Keltische mit verschiedenen anderen idg. Sprachzweigen teilt und die zu unterschiedlichen Zeiten
eingetreten sein müssen (vgl. z.B. die Zusammenstellung bei SCHMIDT 1992, S. 69 ff.; 1996), z.B:.
(a)
– die Bewahrung der Femininformen bei den Zahlwörtern ‘3’, ‘4’ im Air. und in den brit. Sprachen
(sonst nur im Indoiran. erhalten);
– die Bewahrung des Relativstamms *io- (gegenüber der Verwendung des Interrogativstamms *k w o-
als Relativpronomen, wie z.B. im Anatolischen); 6
– die Bewahrung der Unterscheidung von proto-idg. *o und *a ; 7
(b)
– Zusammenfall der proto-idg. Palatale mit den Velaren (Isoglosse mit anderen Centum-Sprachen);
– Zusammenfall von Mediae und Mediae aspiratae in Mediae (Isoglosse mit Iranisch, Baltisch,
Slavisch, Albanisch) – mit Ausnahme der Labiovelare, die im Kelt. unterschieden bleiben;
– Assimilation *p…k w > *k w …k w (Isoglosse mit Italisch) 8 ;
– Superlativ auf *-is mo- (Isoglosse mit Italisch);
– Bildungsweise des sog. “ s- Futurs” im Air. (Isoglosse mit Indoiranisch); 9
– Futur auf *-sye/o- im FLK (Isoglosse mit ostidg. Sprachen);
– gemeinsame lexikalische Neuerungen, z.B.:
(a) die Einführung von *teut ~ ‘Volk’, *mori ‘Meer’ im Sinne von KRAHEs “Alteuropa”-Hypothese
(Isoglosse mit Italisch, Germanisch, Illyrisch, Baltisch);
(b) keltisch-italisch-germanische Gemeinsamkeiten, z.B. *wiros (mit kurzem 0; vgl. die Ausfüh-
rungen unten s.v. ‘man’);
(c) Keltisch-Germanische Gemeinsamkeiten, z.B. die semantische Weiterentwicklung von proto-
idg. *oitos ‘Gang’ > ‘Eid’
(Merkmale nach SCHMIDT 1992, S. 71, jedoch mit anderer Anordnung). Im Falle der Archaismen (a)
ist die sogenannte Marginaltheorie in die Betrachtungen einzubeziehen, derzufolge ältere Merkmale
eher am Rande eines Sprachareals erhalten bleiben als in dessen Zentrum, in dem sich Neuerungen
eher durchsetzen (MEILLET 1908, S. 38; BARTOLI 1925; BONFANTE, Word 28 (1977), S. 6 ff.; vgl.
SCHMIDT 1998, S. 30 ff.). Nach VENDRYES, MSL 20 (1918), S. 265 ff. ist das Keltische innerhalb
des Idg. als Marginalsprache zu betrachten (ebenso DILLON 1973; vgl. SCHMIDT ebd., S. 33 f.).
Bei den unter (b) angeführten Kriterien ist stets zu fragen, ob es sich um gemeinsame Neuerungen der
genannten Sprachen oder um zufällig eingetretene (weil naheliegende) konvergente Entwicklungen
handelt – die letztere Interpretation ist z.B. im Falle des Zusammenfalls Mediae / Mediae aspiratae
6 Dieses Merkmal wird von SCHMIDT ebd. als Neuerung gewertet; m.E. kann es jedoch ebenso als Archaismus
interpretiert werden.
7 Dieses Merkmal ist hier unter den Archaismen aufgeführt – ebenfalls abweichend von SCHMIDT ebd., wo es
unter den Neuerungen rangiert, was jedoch in Widerspruch zum Prinzip von LESKIEN steht (SCHMIDT ebd.,
S. 76; vgl. die Ausführungen unten), da “fehlender Zusammenfall” nicht als positives Merkmal gewertet
werden kann.
8
Wie WATKINS 1966, S. 33 ff. gezeigt hat, ist diese Isoglosse nicht als gemeinsame Neuerung zu werten,
sondern als unabhängig voneinander vollzogene (konvergente) Entwicklung (vgl. RUSSELL 1995b, S. 19 f.).
9
Vgl. GOI, S. 414 f.: Das air. s- Futur entspricht formal den ai. Desiderativbildungen (gekennzeichnet durch
Reduplikation mit Vokal -i- , Schwundstufe der Wurzel, Formans -s- bei Wurzeln auf Verschlußlaut und
thematische Flexion).
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