Langenscheidt Passiv Deutsche Grammatik.pdf

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Genera
1.8.
Formenbestand
1.8.1.
Konjugationsübersicht
1.8.1.1.
Aktiv
Vorgangspassiv
Zustandspassiv
Präs. ich impfe
werde geimpft
bin geimpft
Prät. ich impfte
wurde geimpft
war geimpft
Perf. ich habe geimpft bin geimpft
bin geimpft gewesen
worden
Plusq. ich hatte geimpft war geimpft wor- war geimpft gewesen
den
Fut. I ich werde impfen werde geimpft
werde geimpft sein
werden
Fut. II ich werde geimpft werde geimpft
haben
worden sein
werde geimpft
Formenbildung
1.8.1.2.
1. Das Vorgangspassiv wird gebildet aus den konjugierten Formen
des Hilfsverbs werden (vgl. 1.6.1.) + Partizip II des Vollverbs. Im Per-
fekt, Plusquamperfekt und Futur II verliert das Partizip II von wer-
den das Präfix ge-:
Ich bin geimpft worden.
nicht: "Ich bin geimpft geworden.
Anmerkungen:
(1) Bei unregelmäßigen Verben mit nicht trennbarem Präfix ist das Präsens
des Vorgangspassivs (b) formengleich mit dem Futur I des Aktivs (a), wenn
Präsens und Perfekt den gleichen Ablautvokal haben. Manche Formen sind
deshalb homonym und werden nur durch den Kontext eindeutig:
Sie werden vergessen.
= (a) Sie werden (das Unrecht) vergessen.
= (b) Sie (d. h. die Freunde) werden (von uns) vergessen.
Ebenso: befallen, behalten, empfangen, unterschlagen, vergeben
(2) Die futurischen Formen des Vorgangspassivs werden verhältnismäßig
selten gebraucht. Das Futur I wird meist durch das Präsens, das Futur II
durch das Perfekt ersetzt:
ich werde geimpft werden
—>• ich werde geimpft
ich werde geimpft worden sein
—» ich bin geimpft worden
2. Das Zustandspassiv wird gebildet aus den konjugierten Formen
des Hilfsverbs sein (vgl. 1.6.1.) + Partizip II des Vollverbs. Das Prä-
sens des Zustandspassivs entsteht formal dadurch, daß das Perfekt 161
gewesen sein
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des Vorgangspassivs um worden reduziert wird, das Präteritum des
Zustandspassivs dadurch, daß das Plusquamperfekt des Vorgangs-
passivs um worden reduziert wird:
ich bin geimpft worden
—»ich bin geimpft
ich war geimpft worden
—>• ich war geimpft
Anmerkung:
Das Perfekt und Plusquamperfekt sowie das Futur I und Futur II des Zu-
standspassivs werden verhältnismäßig selten verwendet. Das Perfekt und
Plusquamperfekt werden gewöhnlich durch das Präteritum, das Futur I wird
gewöhnlich durch das Präsens, das Futur II durch das Perfekt ersetzt:
ich bin geimpft gewesen
—•• ich war geimpft
ich war geimpft gewesen
—<• ich war geimpft
ich werde geimpft sein
—»• ich bin geimpft
ich werde geimpft gewesen sein
—>• ich bin geimpft gewesen
1.8.2.
Syntaktische Klassifizierung des Vorgangspassivs nach der
Zahl der Glieder
1. Eingliedrige Passivkonstruktion:
Es wird getanzt.
Die eingliedrige Passivkonstruktion besteht nur aus der Passivform
des Verbs. Zusätzlich kann — wie beim mehrgliedrigen Passiv — am
Satzanfang ein nicht durch ein Substantiv substituierbares es als
formales syntaktisches Subjekt stehen. Man spricht auch vom sub-
jektlosen Passiv ohne Angabe des Agens.
2. Zweigliedrige Passivkonstruktion:
Er wird gelobt.
Die zweigliedrige Passivkonstruktion enthält außer der Passivform
des Verbs noch ein syntaktisches Subjekt, das substituierbar ist.
Man spricht vom „persönlichen Passiv" (d. h. Passiv mit Subjekt)
ohne Angabe des Agens.
3. Dreigliedrige Passivkonstruktion:
Er wird vom Lehrer gelobt.
Die dreigliedrige Passivkonstruktion enthält außer der Passivform
des Verbs noch ein substituierbares syntaktisches Subjekt und ein
durch Präposition angeschlossenes Agens. Es handelt sich um das
162 „persönliche Passiv"(d. h. Passiv mit Subjekt) mit Angabe des Agens.
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4. Viergliedrige Passivkonstruktion:
Das Buch wird dem Schüler von dem Lehrer geschenkt.
Die viergliedrige Passivkonstruktion enthält außer den in der drei-
gliedrigen Passivkonstruktion enthaltenen Gliedern einen weiteren
Kasus (Dativ, Genitiv oder Präpositionalkasus). Es handelt sich
ebenfalls um ein „persönliches Passiv" mit Angabe des Agens.
Anmerkungen:
(1) Von diesen Arten der Passivkonstruktionen ist das zweigliedrige Passiv
am häufigsten. Danach folgen das drei- und viergliedrige Passiv mit Angabe
des Agens (diese Konstruktionen unterscheiden sich im Informationswert
nicht vom Aktiv). Am seltensten ist das eingliedrige Passiv.
(2) Die vorgenommene Klassifizierung geht nur von den in der Oberfläche
der aktuellen Passivsätze enthaltenen Gliedern aus. Sie wird weder der Zu-
sammengehörigkeit der entsprechenden Formen untereinander noch ihrer
Zusammengehörigkeit mit dem Aktiv gerecht. Dieser gesetzmäßige Zusam-
menhang ist durch Transformationen zu beschreiben (vgl. 1.8.4.). Erst auf
diese Weise wird das Vorgangspassiv aus dem Aktiv abgeleitet, erweisen sich
z. B. die zweigliedrigen Passivkonstruktionen als Reduzierungen der entspre-
chenden dreigliedrigen Passivkonstruktionen.
(3) Die vorgenommene Klassifizierung bezieht sich ausschließlich auf valenz-
gebundene Glieder und ist unabhängig von freien (valenzunabhängigen),
meist adverbialen Angaben, die im Satz syntaktisch nahezu beliebig auftre-
ten können. So würde man als zweigliedrige Passivkonstruktionen ansehen
müssen:
Die Ausstellung wurde eröffnet.
Die Ausstellung wurde am Montag feierlich eröffnet.
Semantische Beschreibung
1.8.3.
1. Das Aktiv ist von der Bedeutung her nicht einfach eine „Tätigkeits-
form", das Passiv nicht einfach eine „Leideform". Oftmals drückt das
Aktiv durchaus keine „Tätigkeit" aus:
Er wohnt in Berlin.
Er bekommt einen Brief.
Ebenso drückt das Passiv in vielen Fällen kein „Leiden" aus:
Er wird beschenkt.
Sie wird gelobt.
Ihm wird geholfen.
Erst recht drückt das subjektlose Passiv eher eine Tätigkeit aus als
ein Leiden, manchmal ein ausgesprochen aktivisches Verhalten (1),
manchmal eine energische Aufforderung (2):
(1) Es wurde die ganze Nacht getanzt.
(2) Jetzt wird aber geschlafen!
2. Das Vorgangspassiv drückt den gleichen Sachverhalt in der objek- 163
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tiven Wirklichkeit aus wie das Aktiv. Es unterscheidet sich vom Ak-
tiv jedoch durch eine verschiedene Blickrichtung auf das Gesche-
hen. Das Aktiv läßt das Geschehen agensorientiert erscheinen, das
Vorgangspassiv nicht. Das Zustandspassiv drückt — im Unterschied
zu Aktiv und Vorgangspassiv — überhaupt kein Geschehen, keinen
Prozeß, sondern einen Zustand — als Resultat eines Prozesses — aus.
Zuerst wird das Fenster geöffnet (prozessual), im Resultat dieses
Prozesses ist das Fenster geöffnet (nicht-prozessual). Das Aktiv ist
somit als prozessual und agensorientiert, das Vorgangspassiv als
prozessual und nicht-agensorientiert und das Zustandspassiv als
nicht-prozessual und nicht-agensorientiert zu charakterisieren:
prozessual
agens orientiert
Aktiv
+
+
Vorgangspassiv
+
Zustandspassiv
3. Diesem Unterschied entspricht die Tatsache, daß beim Aktiv (1)
das Agens obligatorisch genannt wird, daß es beim Vorgangspassiv
(2) in der Regel fakultativ erscheint, daß es beim Zustandspassiv (3)
vielfach gar nicht erscheinen kann:
(1) Sie hängte die Wäsche auf.
(2) Die Wäsche wurde (von ihr) aufgehängt.
(3a) Die Wäsche war aufgehängt.
(3b) *Die Wäsche war von ihr auf gehängt.
4. Aus dem in 2. beschriebenen Wesen des Passivs resultiert auch
seine häufigere Verwendung — vor allem in fachwissenschaftlichen
Texten — dort, wo vom Agens abgesehen wird und das Geschehen
„objektiv", ohne Agensbezogenheit dargestellt werden soll.
Anmerkung:
Eine Unterscheidung zwischen Agensorientiertheit und Nicht-Agensorien-
tiertheit kann jedoch nur getroffen werden, wenn eine Opposition zwischen
verschiedenen Formen vorhanden ist. Ist von einem Verb dagegen nur die
Bildung des Aktivs möglich, so kann dieses Aktiv nicht mehr als prozessual
und agensorientiert charakterisiert werden, sondern es ist merkmallos:
Er bekommt einen Brief.
Er liegt im Bett.
5. Das Wesen des Passivs kann nur dann genauer erfaßt werden,,
wenn man die Relationen zwischen den Einheiten der syntaktischen
Ebene (Satzglieder) und den Einheiten der semantischen Ebene
(Zahl und Art der Teilnehmer an der sprachlichen Situation) zum
Ausgangspunkt wählt. Für die Einheiten der syntaktischen Ebene
arbeiten wir mit folgenden Begriffen:
Sn (= Subjekt im Nominativ), Oa (= Objekt im Akkusativ),
Öd (= Objekt im Dativ), Op (= Präpositionalobjekt).
164 Als Einheiten der semantischen Ebene legen wir folgende Begriffe
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zugrunde: A (= Agens, d. h. Urheber der Handlung), P ( = Patiens,
d. h. Objekt, das von der Handlung affiziert wird), R (= Resultat, d. h.
effiziertes Objekt, das aus der Handlung hervorgeht), I (= Instru-
ment, d. h. Objekt, das als Mittel kausal an der Handlung beteiligt
ist), Ad (= Adressat, d. h. Empfänger, in dessen Interesse oder zu
dessen Gunsten/Ungunsten die Handlung abläuft). Zu den semanti-
schen Kasus vgl. genauer 13.4.
Stellt man zwischen den Satzgliedern und den semantischen Einhei-
ten eine Beziehung her, so liegt es zunächst nahe (und trifft auch für
die meisten Fälle zu), als Aktiv alle Formen anzusprechen, in denen
Agens und Subjekt übereinstimmen, als Passiv dagegen alle For-
men, in denen keine Übereinstimmung zwischen Agens und Subjekt
besteht:
semantische Struktur
Aktiv
syntaktische Struktur
Der Lehrer schenkt (dem Schüler) das Buch.
semantische Struktur
syntaktische Struktur
Das Buch wird (dem Schüler) (von dem Lehrer) geschenkt.
Diese Gegenüberstellung zeigt,
a) daß Aktiv und Vorgangspassiv den gleichen Sachverhalt der au-
ßersprachlichen Realität abbilden, d. h. die gleiche semantische
Struktur haben;
b) wie die Regel für die Passivtransformation aussieht:
Sn Oa (Öd) (Op) Sn (Öd);
c) daß für das Aktiv die Identität von Agens und Subjektsnominativ
charakteristisch ist (A = Sn), für das Vorgangspassiv ihre Nicht-
Identität (A ¥= Sn).
6. Dennoch bedarf diese allgemeine Feststellung einer wesentlichen
Einschränkung und Modifizierung, da es aktivische Sätze (der Form
nach) gibt, in denen der Subjektsnominativ kein Agens bezeichnet:
Das Kind liegt im Bett.
Das Messer schneidet gut.
Es sind solche Sätze, zu denen ein Passiv überhaupt nicht bildbar ist.
Nur dann, wenn im Aktivsatz der Subjektsnominativ ein Agens be-
zeichnet, ist der Aktivsatz ins Passiv transformierbar:
Die Mutter schneidet das Brot.
(= A)
—» Das Brot wird von der Mutter geschnitten.
Das Messer schneidet das Brot.
—»• *Das Brot wird von dem Messer geschnitten.
Deshalb sind nicht alle Sätze mit A ^ Sn als Passiv oder passivisch 165
(= I)
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