Brentano, Clemens - Die Geschichte Vom Braven Kasperl Und Dem Schönen Annerl.txt

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Geschichte vom braven Kasperl und dem sch�nen Annerl

Clemens Brentano



Es war Sommersfr�he, die Nachtigallen sangen erst seit einigen Tagen
durch die Stra�en und verstummten heut in einer k�hlen Nacht, welche
von fernen Gewittern zu uns herwehte; der Nachtw�chter rief die elfte
Stunde an, da sah ich, nach Hause gehend, vor der T�r eines gro�en
Geb�udes einen Trupp von allerlei Gesellen, die vom Biere kamen, um
jemand, der auf den T�rstufen sa�, versammelt.  Ihr Anteil schien mir
so lebhaft, da� ich irgendein Ungl�ck besorgte und mich n�herte.

Eine alte B�uerin sa� auf der Treppe, und so lebhaft die Gesellen
sich um sie k�mmerten, so wenig lie� sie sich von den neugierigen
Fragen und gutm�tigen Vorschl�gen derselben st�ren.  Es hatte etwas
sehr Befremdendes, ja schier Gro�es, wie die gute alte Frau so sehr
wu�te, was sie wollte, da� sie, als sei sie ganz allein in ihrem
K�mmerlein, mitten unter den Leuten es sich unter freiem Himmel zur
Nachtruhe bequem machte.  Sie nahm ihre Sch�rze als ein M�ntelchen um,
zog ihren gro�en schwarzen, wachsleinenen Hut tiefer in die Augen,
legte sich ihr B�ndel unter den Kopf zurecht und gab auf keine Frage
Antwort.

"Was fehlt dieser alten Frau?" fragte ich einen der Anwesenden; da
kamen Antworten von allen Seiten: "Sie k�mmt sechs Meilen Weges vom
Lande, sie kann nicht weiter, sie wei� nicht Bescheid in der Stadt,
sie hat Befreundete am andern Ende der Stadt und kann nicht hinfinden,
"--"Ich wollte sie f�hren", sagte einer, "aber es ist ein weiter Weg,
und ich habe meinen Hausschl�ssel nicht bei mir.  Auch w�rde sie das
Haus nicht kennen, wo sie hin will."--"Aber hier kann die Frau nicht
liegen bleiben", sagte ein Neuhinzugetretener.  "Sie will aber
platterdings", antwortete der erste; "ich habe es ihr l�ngst gesagt,
ich wolle sie nach Haus bringen, doch sie redet ganz verwirrt, ja sie
mu� wohl betrunken sein."--"Ich glaube, sie ist bl�dsinnig.  Aber
hier kann sie doch in keinem Falle bleiben", wiederholte jener, "die
Nacht ist k�hl und lang."

W�hrend allem diesem Gerede war die Alte, grade als ob sie taub und
blind sei, ganz ungest�rt mit ihrer Zubereitung fertig geworden, und
da der letzte abermals sagte: "Hier kann sie doch nicht bleiben",
erwiderte sie, mit einer wunderlich tiefen und ernsten Stimme:

"Warum soll ich nicht hier bleiben?  Ist dies nicht ein herzogliches
Haus?  Ich bin achtundachtzig Jahre alt, und der Herzog wird mich
gewi� nicht von seiner Schwelle treiben.  Drei S�hne sind in seinem
Dienst gestorben, und mein einziger Enkel hat seinen Abschied
genommen;--Gott verzeiht es ihm gewi�, und ich will nicht sterben,
bis er in seinem ehrlichen Grab liegt."

"Achtundachtzig Jahre und sechs Meilen gelaufen!" sagten die
Umstehenden, "sie ist m�d und kindisch, in solchem Alter wird der
Mensch schwach."

"Mutter, Sie kann aber den Schnupfen kriegen und sehr krank werden
hier, und Langeweile wird Sie auch haben", sprach nun einer der
Gesellen und beugte sich n�her zu ihr.

Da sprach die Alte wieder mit ihrer tiefen Stimme, halb bittend, halb
befehlend:

"O la�t mir meine Ruhe und seid nicht unvern�nftig; ich brauch keinen
Schnupfen, ich brauche keine Langeweile; es ist ja schon sp�t an der
Zeit, achtundachtzig bin ich alt, der Morgen wird bald anbrechen, da
geh ich zu meinen Befreundeten.  Wenn ein Mensch fromm ist und hat
Schicksale und kann beten, so kann er die paar armen Stunden auch
noch wohl hinbringen."

Die Leute hatten sich nach und nach verloren, und die letzten, welche
noch da standen, eilten auch hinweg, weil der Nachtw�chter durch die
Stra�e kam und sie sich von ihm ihre Wohnungen wollten �ffnen lassen.
So war ich allein noch gegenw�rtig.  Die Stra�e ward ruhiger.  Ich
wandelte nachdenkend unter den B�umen des vor mir liegenden freien
Platzes auf und nieder; das Wesen der B�uerin, ihr bestimmter,
ernster Ton, ihre Sicherheit im Leben, das sie achtundachtzigmal mit
seinen Jahreszeiten hatte zur�ckkehren sehen, und das ihr nur wie ein
Vorsaal im Bethause erschien, hatten mich mannigfach ersch�ttert.
"Was sind alle Leiden, alle Begierden meiner Brust?  Die Sterne gehen
ewig unbek�mmert ihren Weg--wozu suche ich Erquickung und Labung, und
von wem suche ich sie und f�r wen?  Alles, was ich hier suche und
liebe und erringe, wird es mich je dahin bringen, so ruhig wie diese
gute, fromme Seele die Nacht auf der Schwelle des Hauses zubringen zu
k�nnen, bis der Morgen erscheint, und werde ich dann den Freund
finden wie sie?  Ach, ich werde die Stadt gar nicht erreichen, ich
werde wegem�de schon in dem Sande vor dem Tore umsinken und
vielleicht gar in die H�nde der R�uber fallen."  So sprach ich zu mir
selbst, und als ich durch den Lindengang mich der Alten wieder
n�herte, h�rte ich sie halblaut mit gesenktem Kopfe vor sich hin
beten.  Ich war wunderbar ger�hrt und trat zu ihr hin und sprach:
"Mit Gott, fromme Mutter, bete Sie auch ein wenig f�r mich!"--bei
welchen Worten ich ihr einen Taler in die Sch�rze warf.

Die Alte sagte hierauf ganz ruhig: "Hab tausend Dank, mein lieber
Herr, da� du mein Gebet erh�rt."

Ich glaubte, sie spreche mit mir, und sagte: "Mutter, habt Ihr mich
denn um etwas gebeten?  Ich w��te nicht."

Da fuhr die Alte �berrascht auf und sprach: "Lieber Herr, gehe Er
doch nach Haus und bete Er fein und lege Er sich schlafen.  Was zieht
Er so sp�t noch auf der Gasse herum?  Das ist jungen Gesellen gar
nichts n�tze; denn der Feind geht um und suchet, wo er sich einen
erfange.  Es ist mancher durch solch Nachtlaufen verdorben.  Wen
sucht Er?  Den Herrn?  Der ist in des Menschen Herz, so er
z�chtiglich lebt, und nicht auf der Gasse.  Sucht Er aber den Feind,
so hat Er ihn schon; gehe Er h�bsch nach Haus und bete Er, da� Er ihn
loswerde.  Gute Nacht!"

Nach diesen Worten wendete sie sich ganz ruhig nach der andern Seite
und steckte den Taler in ihren Reisesack.  Alles, was die Alte tat,
machte einen eigent�mlichen ernsten Eindruck auf mich, und ich sprach
zu ihr: "Liebe Mutter, Ihr habt wohl recht, aber Ihr selbst seid es,
was mich hier h�lt; ich h�rte Euch beten und wollte Euch ansprechen,
meiner dabei zu gedenken."

"Das ist schon geschehen", sagte sie; "als ich Ihn so durch den
Lindengang wandeln sah, bat ich Gott, er m�ge Euch gute Gedanken
geben.  Nun habe Er sie, und gehe Er fein schlafen!"

Ich aber setzte mich zu ihr nieder auf die Treppe und ergriff ihre
d�rre Hand und sagte: "Lasset mich hier bei Euch sitzen die Nacht
hindurch, und erz�hlet mir, woher Ihr seid, und was Ihr hier in der
Stadt sucht; Ihr habt hier keine H�lfe, in Eurem Alter ist man Gott
n�her als den Menschen; die Welt hat sich ver�ndert, seit Ihr jung
wart."

"Da� ich nicht w��te", erwiderte die Alte, "ich habs mein Lebetag
ganz einerlei gefunden; Er ist noch zu jung, da verwundert man sich
�ber alles; mir ist alles schon so oft wieder vorgekommen, da� ich es
nur noch mit Freuden ansehe, weil es Gott so treulich damit meinet.
Aber man soll keinen guten Willen von sich weisen, wenn er einem auch
grade nicht not tut, sonst m�chte der liebe Freund ausbleiben, wenn
er ein andermal gar willkommen w�re; bleibe Er drum immer sitzen, und
sehe Er, was Er mir helfen kann.  Ich will Ihm erz�hlen, was mich in
die Stadt den weiten Weg treibt.  Ich h�tt es nicht gedacht, wieder
hierher zu kommen.  Es sind siebenzig Jahre, da� ich hier in dem
Hause als Magd gedient habe, auf dessen Schwelle ich sitze, seitdem
war ich nicht mehr in der Stadt; was die Zeit herumgeht!  Es ist, als
wenn man eine Hand umwendet.  Wie oft habe ich hier am Abend gesessen
vor siebzig Jahren und habe auf meinen Schatz gewartet, der bei der
Garde stand!  Hier haben wir uns auch versprochen.  Wenn er
hier--aber still, da k�mmt die Runde vorbei."

Da hob sie an, mit gem��igter Stimme, wie etwa junge M�gde und Diener
in sch�nen Mondn�chten, vor der T�r zu singen, und ich h�rte mit
innigem Vergn�gen folgendes sch�ne alte Lied von ihr:


Wann der j�ngste Tag wird werden,
Dann fallen die Sternelein auf die Erden.
Ihr Toten, ihr Toten sollt auferstehn,
Ihr sollt vor das J�ngste Gerichte gehn;
Ihr sollt treten auf die Spitzen,
Da die lieben Engelein sitzen.
Da kam der liebe Gott gezogen
Mit einem sch�nen Regenbogen.
Da kamen die falschen Juden gegangen,
Die f�hrten einst unsern Herrn Christum gefangen.
Die hohen B�um erleuchten sehr,
Die harten Stein zerknirschten sehr.
Wer dies Gebetlein beten kann,
Der bets des Tages nur einmal,
Die Seele wird vor Gott bestehn,
Wann wir werden zum Himmel eingehn!
Amen.


Als die Runde uns n�her kam, wurde die gute Alte ger�hrt.  "Ach",
sagte sie, "es ist heute der sechszehnte Mai, es ist doch alles
einerlei, grade wie damals, nur haben sie andere M�tzen auf und keine
Z�pfe mehr.  Tut nichts, wenns Herz nur gut ist!"  Der Offizier der
Runde blieb bei uns stehen und wollte eben fragen, was wir hier so
sp�t zu schaffen h�tten, als ich den F�hnrich Graf Grossinger, einen
Bekannten, in ihm erkannte.  Ich sagte ihm kurz den ganzen Handel,
und er sagte, mit einer Art von Ersch�tterung: "Hier haben Sie einen
Taler f�r die Alte und eine Rose"--die er in der Hand trug--; "so
alte Bauersleute haben Freude an Blumen.  Bitten Sie die Alte, Ihnen
morgen das Lied in die Feder zu sagen, und bringen Sie mir es.  Ich
habe lange nach dem Lied getrachtet, aber es nie ganz habhaft werden
k�nnen."  Hiermit schieden wir, denn der Posten der nah gelegenen
Hauptwache, bis zu welcher ich ihn �ber den Platz begleitet hatte,
rief: "Wer da?"  Er sagte mir noch, da� er die Wache am Schlosse habe,
ich solle ihn dort besuchen.  Ich ging zu der Alten zur�ck und gab
ihr die Rose und den Taler.

Die Rose ergriff sie mit einer r�hrenden Heftigkeit und befestigte
sie sich auf ihren Hut, indem sie mit einer etwas feineren Stimme und
fast weinend die Worte sprach:


Rosen die Blumen auf meinem Hut,
H�tt ich viel Geld, das w�re gut,
Rosen und mein Liebchen.


Ich sagte zu ihr: "Ei, M�tterchen, Ihr seid ja ganz munter geworden",
und sie erwiderte:


Munter, munter
Immer bunter,
Immer runder.
Oben stund er,
Nun b...
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