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Clive Cussler - Das Todeswrack.
Clive Cussler Paul Kemprecos - Das Todeswrack
Ins Deutsche übertragenvon Thomas Haufschild
Die englische Originalausgabe erschien 1999
unter dem Titel »Serpent - A Novel from the NUMA Files«
bei Pocket Books, a division of Simon & Schuster Inc., New York
Deutsche Erstveröffentlichung 5/2000Copyright © 1999 by Clive Cussler
All rights reserved.By arrangement with Peter Lampack Agency, Inc.,
551 Fifth Avenue, Suite 1613
New York, NY 10176-0187 USA
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2000
by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Bertelsmann GmbH
Umschlaggestaltung: Design Team München
Umschlagfoto: Wolf Huber
ISBN 3-442-35274-6
Buch
Die junge Meeresarchäologin Nina Kirov entdeckt bei einer Expedition ander
marokkanischen Küste ein riesiges Sterngesicht, das in dieser Form bis-lang nur in
einer einzigen Region der Welt aufgetaucht ist: in Mexiko, alsÜberrest der
Olmekenkultur (ca. 800 bis 700 v. Chr.). Gab es in vorchristli-cher Zeit einen
kulturellen Austausch zwischen Alter und Neuer Welt? Dochbevor Nina dieser Frage
auf den Grund gehen kann, wird das Lager der Ex-pedition überfallen und beinahe
alle Teilnehmer mit einer eiskalten Präzisionhingerichtet. Nina gelingt die Flucht an
Bord eines Forschungsschiffs derNUMA, wo sie auf Kurt Austin und Joe Zavala
trifft, Kollegen des berühm-ten Dirk Pitt. Gemeinsam machen sich Nina, Kurt und Joe
an die Aufklärungder Morde, die offenbar auch mit dem Untergang der Andrea Doria
im Jahr1956 und.einer verschollenen Fracht in Verbindung stehen. Die Nachfor-
schungen führen zur bizarren Welt des texanischen Industriellen Halcon, derauf dem
Staatsgebiet der USA eine neue Nation gründen will. Und der Wahn-sinnige hält
tödliche Mittel zur Durchsetzung seiner Pläne bereit...
Autoren
Clive Cussler, Jahrgang 1931, zunächst Flugzeugingenieur bei der Air Force,hat sich,
seit er 1973 seinen mittlerweile legendären Helden Dirk Pitt erfand,einen der
vordersten Plätze unter den großen internationalen Bestsellerauto-ren gesichert. Er
lebt in Colorado/USA.
Paul Kemprecos ist selbst passionierter Taucher und bereits vielfach als Jour-nalist
und Schriftsteller hervorgetreten. Er lebt auf Cape Cod/USA.
Ich möchte Sie mit einem Freund bekannt machen...
Als ich gebeten wurde, Kurt Austin, Joe Zavala und ihre Freun-de von der National
Underwater and Marine Agency vorzustel-len, habe ich dieser Bitte mit großem
Vergnügen und voller Be-geisterung entsprochen. Ich kenne Kurt und Joe nun schon
seitvielen Jahren. Unser erstes Treffen fand statt, als die beiden sichauf Admiral
Sandeckers Initiative hin der NUMA anschlossen,nicht lange nachdem AI Giordino
und ich an Bord gekommenwaren. Obwohl sich uns bislang nie die Gelegenheit
geboten hat,zusammen an einem Projekt zu arbeiten, haben Kurts und JoesEskapaden
über und unter Wasser oftmals meine Fantasie beflü-gelt und mich wünschen lassen,
ich wäre selbst dabei gewesen.
Kurt und ich haben einige Gemeinsamkeiten. Er ist ein paarJahre jünger, und wir
sehen uns wohl kaum ähnlich, aber er wohntin einem alten umgebauten Bootshaus am
Potomac und sammeltantike Duellpistolen, was, verglichen mit den alten Autos in
mei-nem Flugzeughangar, eine weise Wahl darstellt, wenn manberücksichtigt, wie
viel einfacher diese Pistolen sich instand hal-ten und unterbringen lassen. Außerdem
rudert und segelt er gern,während ich schon bei dem bloßen Gedanken daran außer
Atemgerate.
Kurt ist einfallsreich und scharfsinnig, und er hat mehr Schneidals ein weißer Hai, der
eine Schachtel Aufputschmittel ver-schluckt hat. Darüber hinaus ist Kurt ein wirklich
netter und ab-solut integrer Kerl, zu dessen moralischen Werten die National-flagge,
Mütter und Apfelkuchen gehören. Zu meinem Leidwesenfinden die Damen ihn
äußerst attraktiv, sogar noch attraktiver als
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mich. Der einzige, wenngleich mir völlig unbegreifliche Schluss,den ich daraus
ziehen kann - und dies fällt mir zugegebener-maßen schwer -, ist die Tatsache, dass er
von uns beiden anschei-nend besser aussieht.
Ich bin froh, dass Kurts und Joes Heldentaten aus den Archi-ven der NUMA nun
endlich publik gemacht werden. Zweifelloswerden Sie, werte Leser, die Lektüre als
einen unterhaltsamen undfesselnden Zeitvertreib empfinden. Mir zumindest ist es so
er-gangen.
Dirk Pitt
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Prolog
25. Juli 1956Südlich von Nantucket Island
Das bleiche Schiff kam dermaßen schnell in Sicht, als wäre es voneinem Moment auf
den anderen unvermutet aus der Tiefe em-porgestiegen. Im Licht des nahezu vollen
Mondes glitt es wie einGeist über das silbern schimmernde Wasser und fuhr mit
hoherGeschwindigkeit in östlicher Richtung durch die warme Nacht.Entlang seiner
knochenweißen Flanken funkelte ein Diadem ausleuchtenden Bullaugen, und der
steile Bug zerteilte das glatteMeer so mühelos, als schnitte ein Stilett durch
schwarzen Satin.
Hoch oben auf der dunklen Brücke des schwedisch-amerika-nischen Linienschiffs
Stockholm, sieben Stunden und 130 Meilenöstlich von New York City, suchte der
zweite Offizier GunnarNillson den mondbeschienenen Ozean ab. Dank der
großenrechteckigen Fenster, die sich rund um das Ruderhaus zogen,konnte er in alle
Richtungen bis zum Horizont blicken. Abgese-hen von vereinzelter unregelmäßiger
Dünung, war die Wasser-oberfläche ruhig. Die Temperatur betrug etwas über
zwanzigGrad Celsius und bedeutete eine wohltuende Abwechslung vonder schweren,
feuchten Luft, die an jenem Morgen über der Stock-holm gelegen hatte, als der Liner
vom Pier an der 57. Straße in Seegestochen und dem Lauf des Hudson River gefolgt
war. Einigeletzte flaumige Wolken schoben sich in zerfetzten Schleiern vorden
Porzellanmond. An Steuerbord betrug die Sichtweite ein hal-bes Dutzend Meilen.
Nillson richtete den Blick nach backbord, wo die schmale
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dunkle Horizontlinie sich in einem trüben Dunst verlor, der dieSterne verschleierte
und Himmel und Wasser verschmelzen ließ.
Einen Moment lang war er von diesem dramatischen Anblickvöllig überwältigt. Der
Gedanke an die riesige pfadlose Leere, dienoch vor ihnen lag, raubte ihm schier den
Atem. Dieses Gefühlkam bei Seeleuten häufig vor, und es hätte auch noch länger an-
gehalten, wäre da nicht das Kribbeln in seinen Fußsohlen gewe-sen. Die Kraft der
gewaltigen Zwillingsdiesel mit ihren 14.800Pferdestärken schien sich vom
Maschinenraum durch das vibrie-rende Deck und in seinen Körper fortzupflanzen,
der sich kaumwahrnehmbar neigte, um das leichte Rollen auszugleichen. Furchtund
Erstaunen ließen nach und wichen dem Gefühl der Allmacht,das sich beinahe
zwangsläufig einstellte, wenn man am Ruder ei-nes schnellen Liners stand, der mit
Höchstgeschwindigkeit überden Ozean schoss.
Die Stockholm maß 160 Meter von vorn bis achtern und 21 Me-ter in der Breite.
Damit war sie das kleinste Linienschiff auf derTransatlantikroute. Dennoch handelte
es sich bei ihr um ein ganzbesonderes Schiff, schnittig wie eine Jacht und mit
schwungvol-len Konturen, die sich dynamisch von ihrem langen Vorderdeckbis zum
Heck zogen, das so sanft gerundet war wie ein Weinglas.Ihre glänzende Außenhaut
war vollständig weiß, abgesehen voneinem einzelnen gelben Schornstein. Nillson
genoss das Gefühlder Kontrolle. Er brauchte nur mit den Fingern zu schnippen,und
die drei wachhabenden Matrosen würden herbeieilen, umseine Befehle
entgegenzunehmen. Wenn er einen der Hebel an denSchiffstelegrafen umlegte,
würden Glockensignale ertönen undMänner an die Arbeit hasten.
Er lachte in sich hinein, denn seine Hybris war ihm durchausbewusst. Seine
vierstündige Wache bestand im Wesentlichen auseiner Reihe von Routineaufgaben,
die dafür sorgen sollten, dassdas Schiff auf einer imaginären Route blieb, an deren
Ende es aufeinen imaginären Punkt in der Nähe des gedrungenen roten Feu-erschiffs
treffen würde, das vor Nantuckets tückischen Untiefen
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warnte. Dort würde die Stockholm auf einen nordöstlichen Kurseinschwenken, der
ihre 534 Passagiere an Säble Island vorbei undgeradewegs quer über den Atlantik
bringen würde, an der Nord-küste Schottlands entlang und schließlich in den Hafen
von Gö-teborg.
Zwar war Nillson nur achtundzwanzig Jahre alt und hatte erstknappe drei Monate
zuvor seinen Dienst auf der Stockholm an-getreten, doch zur See gefahren war er
schon seit frühester Ju-gend. Als Teenager hatte er auf mehreren Ostseefischkuttern
ge-arbeitet, später dann als Hilfsmatrose bei einer großen Reederei.Danach folgten
die schwedische Seefahrtsakademie sowie einkurzer Abstecher zur schwedischen
Kriegsmarine. Die Stock-holm war ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Erfüllung
seinesTraums: Herr über ein eigenes Schiff zu sein.
Nillsons Aussehen entsprach nicht dem üblichen Klischee desgroßen blonden
Skandinaviers. Er wirkte nicht wie ein Wikinger,sondern eher wie ein Venezianer,
denn er hatte die italienischenGene seiner Mutter geerbt und dazu ihr
kastanienbraunes Haar,den olivfarbenen Teint, die schmächtige Statur und das
sonnigeGemüt. Dunkelhaarige Schweden waren nichts Ungewöhnliches.Manchmal
fragte sich Nillson, ob die mediterrane Wärme seinergroßen braunen Augen auch nur
das Geringste mit der eisigenKälte seines Kapitäns zu tun hatte. Vermutlich handelte
es sicheher um eine Mischung aus skandinavischer Reserviertheit undder strengen
schwedischen Seefahrttradition strikter Disziplin.Wie dem auch sei, Nillson arbeitete
härter, als er musste. Er woll-te dem Kapitän keinen einzigen Anlass zur Kritik geben.
Sogarin dieser friedlichen Nacht ohne Schiffsverkehr, bei kaum merk-lichem Seegang
und idealem Wetter, schritt Nillson von einemEnde der Brücke zum anderen, als
würde das Schiff sich inmit-ten eines Orkans befinden.
Die Brücke der Stockholm war in zwei Bereiche unterteilt: vorndas sechs Meter breite
Ruderhaus und dahinter der gesonderteKartenraum. Die seitlichen Türen, die hinaus
auf Deck führten,
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standen offen und ließen die leichte Südwestbrise hinein. Auf je-der Seite der Brücke
befanden sich ein RCA-Radargerät und einSchiffstelegraf. In der Mitte des
Ruderhauses stand der Steuer-mann auf einer hölzernen Plattform einige Zentimeter
über demgebohnerten Deck. Sein Rücken wies zu der Trennwand, seineHände
umschlossen das Steuerrad, und sein Blick ruhte auf demKreiselkompass zu seiner
Linken. Unmittelbar vor dem Ruder,unterhalb des mittleren Fensters, befand sich eine
Kursanzeige.Die drei hölzernen Würfel in dem Anzeigekasten waren mit Zif-fern
versehen, damit der Steuermann stets die Fahrtrichtung imAuge behielt.
Die Würfel standen auf 090.
Nillsons Schicht begann um acht Uhr dreißig abends. Er wareinige Minuten früher
nach oben gekommen, um einen Blick aufdie Wetterberichte zu werfen. Für die
Gegend um das Feuerschiffvor Nantucket wurde Nebel vorhergesagt. Das war keine
Über-raschung. Die warmen Gewässer der Nantucket-Untiefen stell-ten praktisch eine
Nebelfabrik dar. Der Offizier, dessen Schichtjetzt endete, teilte ihm mit, dass die
Stockholm sich ein wenignördlich des Kurses befand, den der Kapitän gesetzt hatte.
Wieweit nördlich, konnte er nicht sagen. Die Funkbaken waren zuweit entfernt, um
eine exakte Positionsbestimmung vornehmenzu können.
Nillson lächelte. Auch das war keine Überraschung. Der Ka-pitän nahm immer den
gleichen Kurs, zwanzig Meilen nördlichder nach Osten weisenden Fahrrinne, die
nach internationalerÜbereinkunft empfohlen wurde. Diese Empfehlung war
nichtverbindlich, und so bevorzugte der Kapitän die nördlichere Rou-te, denn er
sparte auf diese Weise Zeit und Treibstoff.
Skandinavische Kapitäne leisteten normalerweise keine Wach-schichten auf der
Brücke, sondern überließen das Schiff einemihrer Offiziere. Nillson nahm sogleich
eine Reihe von Aufgabenin Angriff. Er durchschritt die Brücke. Überprüfte das rechte
Ra-dar. Musterte kurz die Maschinentelegrafen auf jeder Seite der
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Brücke, um sicherzugehen, dass beide »Volle Fahrt Voraus« an-zeigten. Spähte vom
seitlichen Deck aufs Meer hinaus. Vergewis-serte sich, dass die beiden weißen
Positionslichter am Masttopbrannten. Kehrte wieder ins Ruderhaus zurück.
Kontrollierte denKreiselkompass. Ermahnte den Steuermann zur Aufmerksam-keit.
Durchquerte abermals die Brücke.
Gegen neun Uhr kam der Kapitän herauf, nachdem er in seinerKabine direkt
unterhalb der Brücke das Abendessen eingenom-men hatte. Er war ein wortkarger
Mann Ende fünfzig, aber er sahälter aus. Sein kantiges Profil wirkte an den Rändern
abgenutzt,wie ein felsiges Kliff, das von der unerbittlichen See geglättet wor-den war.
Seine Körperhaltung war noch immer kerzengerade, unddie Bügelfalten seiner
Uniform schienen wie mit dem Lineal ge-zogen. Zwischen den wettergegerbten
Falten seines rötlichen Ge-sichts funkelten wachsame eisblaue Augen. Zehn Minuten
langschritt er hinter der Brücke auf und ab, starrte auf den Ozean undsog die warme
Luft ein, wie ein Hühnerhund, der die Witterungeines Fasans aufnahm. Dann ging er
ins Ruderhaus und studier-te die Navigationskarte, als suche er nach einem
Vorzeichen.
»Kurs auf siebenundachtzig Grad ändern«, sagte er kurz da-rauf.
Nillson drehte die übergroßen Würfel in dem Anzeigekastenauf 087. Der Kapitän
blieb so lange, bis der Steuermann den Kursangepasst hatte. Dann kehrte er in seine
Kabine zurück.
Hinten im Kartenraum radierte Nillson die Neunzig-Grad-Linie aus, trug mit Bleistift
den neuen Kurs des Kapitäns ein undschätzte die Position des Schiffs. Er verlängerte
die Routenliniegemäß der anliegenden Geschwindigkeit und der verstrichenenZeit
und zeichnete ein X ein. Der neue Kurs würde sie in unge-fähr fünf Meilen
Entfernung an dem Feuerschiff vorbeiführen.Nillson ging davon aus, dass starke
nördliche Strömungen dasSchiff bis auf zwei Meilen herandrücken würden.
Nillson ging zu dem Radar neben der rechten Tür und schal-tete die Reichweite von
fünfzehn auf fünfzig Meilen um. Der dün-
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ne gelbe Abtaststrahl erhellte den schmalen Arm von Cape Codund die Inseln
Nantucket und Martha's Vineyard. Bei diesem Ra-dius waren Schiffe zu klein, um
vom Radar erfasst zu werden.Nillson stellte die ursprüngliche Reichweite ein und
nahm seineKontrollgänge wieder auf.
Ungefähr um zehn Uhr kehrte der Kapitän auf die Brückezurück. »Ich bin in meiner
Kabine und kümmere mich um denPapierkram«, verkündete er. »In zwei Stunden
werde ich aufnördlichen Kurs wechseln lassen. Rufen Sie mich auf die Brücke,falls
Sie das Feuerschiff vor diesem Zeitpunkt entdecken.« Er warfeinen verstohlenen
Blick zum Fenster hinaus, als würde er etwasspüren, das er nicht sehen konnte. »Oder
falls es Nebel oder ir-gendwie schlechtes Wetter gibt.«
Die Stockholm befand sich nun vierzig Meilen westlich desFeuerschiffs. Das war nah
genug, um das Signal von dessen Funk-bake auffangen zu können. Der Peilempfänger
zeigte an, dass die Stockholm um mehr als zwei Meilen in nördliche Richtung
vomKurs des Kapitäns abgewichen war. Nillson folgerte, dass eineStrömung die
Stockholm nach Norden drückte.
Wenige Minuten später erbrachte eine weitere Peilung, dass dasSchiff sich
inzwischen beinahe drei Meilen nördlich der Route be-fand. Es bestand nach wie vor
kein Anlass zur Beunruhigung; ermusste die Lage lediglich genau im Auge behalten.
Genau ge-nommen lautete der Dauerbefehl, dass bei jeder Kursabweichungder
Kapitän zu verständigen war. Nillson stellte sich die Mienedes zerfurchten
Seemannsgesichts vor, die kaum verhohlene Ver-achtung in den Augen des Kapitäns.
Und deshalb haben Sie mich aus meiner Kabine hergerufen? Nillson kratzte sich
nachdenklicham Kinn. Vielleicht lag es am Peilempfänger. Womöglich warendie
Funkbaken für eine exakte Positionsbestimmung noch zu weitentfernt.
Nillson wusste, dass er sich strikt an die Maßgaben des Ka-pitäns zu halten hatte.
Gleichwohl war er immerhin der befehls-habende Brückenoffizier. Er traf eine
Entscheidung.
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»Kurs neunundachtzig«, wies er den Steuermann an.
Das Ruder drehte sich nach rechts und lenkte das Schiff ein we-nig nach Süden, näher
an den ursprünglichen Kurs heran.
Die Brückenmannschaft wechselte die Posten, wie es alle acht-zig Minuten üblich
war. Lars Hansen kam aus der Bereitschaftund übernahm das Ruder.
Nillson verzog das Gesicht, denn dieser Wechsel gefiel ihmganz und gar nicht. Ihm
war stets unbehaglich zumute, wennHansen in seiner Schicht Dienst tat. In der
schwedischen Seefahrtgalten strikte Regeln. Offiziere sprachen nur dann mit den
Mat-rosen, wenn sie ihnen Befehle erteilten. Plaudereien fandenschlichtweg nicht
statt. Nillson setzte sich manchmal über dieseGewohnheit hinweg und äußerte einem
Matrosen gegenüber un-auffällig einen Scherz oder brachte eine sarkastische
Bemerkungan. Niemals jedoch bei Hansen.
Dies war Hansens erste Fahrt auf der Stockholm. Man hatte ihnin letzter Minute als
Ersatz an Bord genommen, weil der eigent-lich angeheuerte Mann nicht erschienen
war. Laut seiner Papierehatte Hansen bereits auf einer ganzen Reihe von Schiffen
gear-beitet. Dennoch kannte ihn niemand, was schwer vorstellbarschien. Hansen war
hohlwangig, groß, breitschultrig, und seinblondes Haar war kurz geschoren. Bis
hierhin traf die Beschrei-bung auch auf einige Millionen anderer Skandinavier
Anfangzwanzig zu. Aber es würde schwierig sein, Hansens Gesicht zuvergessen. Eine
tiefe weiße Narbe verlief von seinem vorstehen-den Wangenknochen bis kurz vor den
rechten Mundwinkel, sodass seine Lippen auf einer Seite zu einem grotesken Lächeln
auf-geworfen schienen. Hansen hatte zumeist auf Frachtern gearbei-tet, was eine
Erklärung für seine Anonymität sein mochte. Nill-son vermutete jedoch, dass dieser
Umstand eher im Verhalten desMannes begründet lag. Er mied Gesellschaft, redete
nur, wennman ihn ansprach, und auch dann nicht viel. Niemand fragte ihnje nach
seiner Narbe.
Wie sich herausstellte, war er ein guter Matrose, der Befehle
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