(eBook - German) Cussler, Clive - Um Haaresbreite(1).pdf

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In Dankbarkeit Jerry Brown, Teresa Burkert, Charlie Davis, Derek & Susan Goodwin, Clyde Jones, Don
Mercier, Valerie Pallai-Petty, Bill Shea und Ed Wardwell gewidmet, die mich nicht vom Wege abkommen
ließen.
Aus dem Amerikanischen übertragen von Helmut Kossodo
T itel der Origina laus gabe » Night P robe«
2. Auflage 1982 Printed in Germany
© 1981 by Clive Cussler Enterprises, Inc.
© der deutschsprachigen Ausgabe 1982
by Hestia Verlag GmbH, Bayreuth
ISBN 3-7770-0238-0
Umschlaggestaltung: Atelier 14, München
Textteilillustrationen: Errol Beauchamp
Satz: Druckhaus Bayreuth Druck und Bindung: Ebner Ulm
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Prolog
DER TAG DES TODES
1
MAI 1914
UPSTATE NEW YORK
Wetterleuchten kündete ein Gewitter an, als der »Manhattan Limited« mit Getöse auf dem
hohen Bahndamm durch die Landschaft des Staates New York raste. Die schwarze
Kohlenrauchfahne stieg wie ein Staubwedel aus dem Schornstein der Lokomotive auf und
schien die Sterntupfen vom nächtlichen Himmel zu wischen. Der Lokomotivführer in der
Kabine zog eine silberne Waltham-Uhr aus der Tasche seines Overalls, ließ den Deckel
aufschnappen und blickte im Lichte der Glut im Feuerloch auf das Zifferblatt. Seine Sorge
galt nicht dem heraufziehenden Unwetter, sondern dem unerbittlichen Vorrücken der Zeit, das
ihn von seinem sonst stets pünktlich eingehaltenen Fahrplan abzubringen drohte.
Er lehnte sich aus der Seitenöffnung der Kabine und blickte auf die Gleisschwellen, die unter
den acht riesigen Triebrädern der 2-8-0-Lokomotive des Consolidationtyps hinwegglitten.
Wie ein Schiffskapitän mit langer Befehlserfahrung kannte er die Maschine, die er seit drei
Jahren bediente, in- und auswendig. Er war stolz auf seine »Galoppierende Lena«, wie er die
118 000 Kilo Eisen und Stahl zärtlich nannte. 1911 in den Alco's Schenectady-Werken
hergestellt, war sie mit einer glänzenden schwarzen Lackschicht überzogen, trug einen roten
Streifen, und ihre Nummer 88 erstrahlte in handgemalten Goldlettern.
Er lauschte auf den raschen Rhythmus der stählernen Räder über den Schienenstößen, fühlte
die Wucht der Lokomotive und der sieben Wagen, die ihr folgten.
Dann zog er das Drosselventil um eine Kerbe höher.Richard Essex saß an einem Schreibtisch
im Bibliotheksraum des privaten Pullmanwa gens am Ende des Zuges. Da er zu müde zum
Schlafen war und sich auf der Reise langweilte, schrieb er einen Brief an seine Frau, um sich
die Zeit zu vertreiben.
Er beschrieb die prunkvolle Einrichtung des Wagens mit den feingeschnitzten Möbeln aus
Walnußholz, die hübschen elektrischen Messinglampen, die mit Samt überzogenen
Drehstühle. Er erwähnte sogar die schrägkantigen Spiegel und die Keramikfußböden in den
Toiletten der vier großen Schlafabteile.
Hinter ihm, in einem Aussichtsabteil, saßen fünf Leibwächter der Armee in Zivil beim
Kartenspiel. Der Rauch ihrer Zigarren stieg in einer blauen Wolke zur Decke auf; ihre
Gewehre lagen auf den Sitzen herum. Gelegentlich beugte sich einer der Spieler über einen
der Messingspucknäpfe auf dem Perserteppich. Wahrscheinlich hatte keiner von ihnen je
einen solchen Luxus genossen. Diese Beförderung mußte die Regierung etwa fünfundsiebzig
Dollar pro Tag gekostet haben, und das alles für den Transport eines Stück Papiers.
Essex seufzte und beendete seinen Brief. Dann schob er ihn in einen Umschlag, klebte ihn zu
und steckte ihn in seine Brusttasche. Er fand immer noch keinen Schlaf, blickte durch die
großen Fenster auf die nächtliche Landschaft, lauschte auf die heulenden Pfiffe der
Lokomotive, wenn sie an einem Dorf vorbeikamen oder eine Überführung passierten.
Schließlich erhob er sich, streckte die Glieder und ging in das elegant eingerichtete
Speiseabteil, wo er sich an einen Mahagonitisch mit schneeweißer Tischdecke,
Silberbestecken und Kristallgläsern setzte. Er blickte auf seine Uhr. Es war kurz vor zwei Uhr
morgens.
»Haben Mister Essex einen Wunsch?« Ein schwarzer Kellner stand wie hingezaubert vor ihm.
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Essex blickte lächelnd auf. »Ich weiß, daß es sehr spät ist, aber ich würde gerne noch eine
Kleinigkeit essen.«
»Aber mit Vergnügen, Sir. Was darf es sein?«
»Etwas, das mir helfen könnte, die Augen zuzumachen.«
Der Kellner grinste breit. »Wie wäre es mit einer kleinen Flasche Pommard und einem Teller
heißer Muschelbouillon?«
»Danke, das dürfte das richtige sein.«
Später, als Essex an seinem Wein nippte, fragte er sich, ob Harvey Shields auch keinen Schlaf
fand.
2
Harvey Shields erlebte einen Alptraum.
Sein Verstand verweigerte jede andere Erklärung. Das Kreischen des Stahls und die Todes-
und Schreckensschreie in der Finsternis waren zu höllisch, um Wirklichkeit zu sein. Er
wandte alle Mühe auf, die fürchterliche Szene zu vergessen und sich wieder in den friedlichen
Schlaf zurückzuziehen. Aber dann fühlte er einen durchdringenden Schmerz und wußte, daß
es kein Traum war.
Irgendwo unter sich hörte er rauschendes Wasser, das wie durch einen Tunnel zu dringen
schien, gefolgt von einem Windstoß, der ihm die Luft aus den Lungen drückte. Er versuchte,
die Augen zu öffnen, aber die Lider waren wie zugeklebt. Er wußte nicht, daß sein Kopf und
sein Gesicht von Blut verschmiert waren. Harvey Shields hatte sich instinktiv
zusammengerollt, um sich vor Kälte und Metallsplittern zu schützen, und er war
eingeklemmt. Ein beizender Geruch von Elektrizität drang ihm in die Nase, und da, die
Schmerzen wurden immer stärker.
Er versuchte, Arme und Beine zu bewegen, aber sie verweigerten ihm den Dienst. Eine
seltsame Stille umgab ihn, nur hier und da von dem leisen Geräusch plätschernden Wassers
unterbrochen. Er machte einen weiteren Versuch, sich aus seiner Lage zu befreien, atmete tief
und strengte jeden Muskel an.
Plötzlich bekam er einen Arm frei, ließ ihn hochschnellen, stöhnte auf, als ein scharfer
Metallsplitter ihm in den Unterarm drang. Dieser Schmerz brachte ihn zu vollem Bewußtsein.
Er wischte sich die klebrige Kruste von den Augen und warf einen ersten Blick auf das, was
einmal seine Kabine an Bord des nach England fahrenden kanadischen Luxusdampfers
gewesen war.
Die große Mahagonikommode war verschwunden, ebenso der Schreibtisch und der
Nachttisch. Wo das Längs- und Querschott hätte sein sollen, klaffte ein großes Loch, durch
dessen verbogeneRänder man nur den nächtlichen Nebel und das schwarze Wasser des St.-
Lawrence-Stroms sah. Es war ihm, als blickte er in bodenlose Leere. Dann gewöhnten sich
seine Augen an das Dunkel, nahmen einen weißen Schimmer wahr, und er wußte, daß er nicht
allein war.
Fast in Reichweite von ihm lag ein junges Mädchen aus der Kabine nebenan unter den
Trümmern; nur der Kopf und eine bleiche Schulter ragten unter der eingestürzten Decke
hervor. Ihr gelöstes langes Haar war goldblond. Ihr Kopf hing in einem grotesken Winkel,
Blut lief von den Lippen und über das Gesicht und begann, das wallende Haar zu verfärben.
Shields erholte sich von seinem Schock; ein Gefühl von Übelkeit stieg in ihm auf. Bisher war
ihm das Gespenst des Todes nicht erschienen, aber jetzt, beim Anblick dieses leblosen
Mädchenkörpers, begann er, seine eigene schrumpfende Zukunft zu sehen. Dann kam ihm
plötzlich ein Gedanke.
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