Der.Spiegel.2009.23.pdf

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Was Glück ist
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Dachzeile
DAS DEUTSCHE NACHRICHTEN-MAGAZIN
Hausmitteilung
30. Mai 2009
Betr.: Titel, SPIEGEL-Gespräch, Irak
D er Befund ist verwirrend. Schon monatelang beherrscht die schlimmste Wirt-
schaftskrise seit dem Anfang der dreißiger Jahre die Schlagzeilen, doch die Deut-
schen kaufen gern ein Buch, das zur Krise nichts zu sagen hat: Eckart von Hirsch-
hausens heitere Pointensammlung „Glück kommt selten allein“ steht seit langem auf
Platz eins der SPIEGEL-Bestsellerliste. Bevorzugen die Menschen gerade jetzt Lek-
türe, die ihnen Wege zu kleinen Fluchten aus dem Alltag weist? SPIEGEL-Autor
Mathias Schreiber, 66, hat sich auf die Spur der Glückssucher begeben und zeichnet
in einem Streifzug durch die Kulturgeschichte nach, welche Antworten seit Buddha und
Epikur auf die Fragen nach Lebenssinn und Lebensglück gegeben wurden. Schreiber
konstatiert unter den Deutschen ein „Comeback des Glücks“ und sieht im „Abschied
von den großen Utopien und in einer fast biedermeierlichen Rückzugsreaktion auf die
Turbulenzen der Globalisierung“ die Gründe für diesen Trend. Sein SPIEGEL-Buch
„Das Gold in der Seele – Die Lehren vom Glück“ (DVA, 19,95 Euro) erscheint nach
Pfingsten (Seite 118).
Angela Merkel, 54, einen Termin für
ein SPIEGEL-Gespräch über die Wirt-
schaftskrise zu finden. Mal war die Kanz-
lerin abgeneigt, weil die ökonomischen
Themen, die auf der Agenda gestanden
hätten, ihr zu sehr im Fluss schienen,
mal hielt sie die innenpolitische Situation
für zu sensibel. Am vorigen Dienstag
schließlich empfing sie die Redakteure
Mathias Müller von Blumencron, 48,
Dirk Kurbjuweit, 46, und Ralf Neukirch,
44, im Kanzleramt. Sie versuchte, so
Neukirch, „der Krise zum Trotz ihre
Rolle als präsidiale Kanzlerin, die über den Parteien steht, weiterzuspielen“. Merkel
erzählte, mit welcher Arroganz Wirtschaftsführer vor der Krise über Politiker geurteilt
hätten („Wir verstünden nicht, wie die Weltwirtschaft funktioniert“) und äußerte sich
eher sanftmütig über ihren Gegenspieler, den Außenminister und SPD-Kanzlerkandi-
daten Frank-Walter Steinmeier, 53. Dem attestierte sie Loyalität, der Republik sei „kein
Schaden daraus entstanden, dass wir bei den nächsten Wahlen unterschiedliche Inter-
essen haben“ (Seite 28).
Kurbjuweit, Neukirch, Merkel, Müller von
Blumencron im Berliner Kanzleramt
so fühlte sich SPIEGEL-Redakteur Maik Großekathöfer, 37, sicher, als er eine Woche
lang beobachtete, womit sich die Zivilgesellschaft in der Millionenstadt Arbil am liebs-
ten beschäftigt: mit Fußball. Die Metropole ist eine Hochburg des Spiels, der Arbil FC
war in den vergangenen beiden Jahren irakischer Meister und stellt fünf National-
spieler. Deren Fotos werden wie Heiligenbilder
gehandelt, hoch im Kurs stehen auch Trikots
bedeutender europäischer Clubs. Im Irak, so
Großekathöfer, schaffe der Fußballsport vieler-
orts, was der Politik nicht gelinge: Er beruhige
die Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten,
zwischen Arabern, Kurden und Turkmenen.
Die Spieler verstünden sich „als Botschafter
eines friedlichen Irak, für sie schließen sich
Fußball und Krieg aus“ (Seite 100).
Großekathöfer bei Arbil im Irak
Im Internet: www.spiegel.de
der spiegel
23/2009
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R echt mühsam war der Versuch, mit
I n den kurdischen Norden des Irak ist der Frieden schon vor Jahren eingezogen, und
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In diesem Heft
Titel
Die Jagd nach dem Glück – was das Leben
gelingen lässt ........................................................ 118
Merkels Sorgen Seite 28
Die Kanzlerin fürchtet, dass die Wirtschafts-
krise Reformen erschwert. „Jetzt haben viele
Menschen die Sorge, ob diese ganze An-
strengung umsonst sein soll“, so Merkel im
SPIEGEL-Gespräch. Sie verteidigt die staat-
lichen Hilfen für bedrohte Firmen und stellt
den Deutschen niedrigere Steuern in Aussicht.
„Für neues Wachstum brauchen wir mehr
Motivation“, sagt die Kanzlerin, „und dazu
gehört auch Entlastung.“
Deutschland
Panorama: Diplomatisches Gezerre um Programm
für Obamas Deutschland-Besuch / Innenminister
wollen Reisen von Islamisten zu Terrorcamps
erschweren / Seehofer kippt Gesundheitsprämie
aus Unionswahlprogramm ..................................... 18
Große Koalition: Union und SPD fürchten, den
Start ins Wahljahr zu verpatzen ............................ 24
Regierung: SPIEGEL-Gespräch mit Kanzlerin
Angela Merkel über Staatshilfe für Opel,
die Verantwortung der Banker und den
Koalitionspoker nach der Bundestagswahl ............ 28
SPD: Den Genossen geht der außenpolitische
Nachwuchs verloren .............................................. 33
Stasi: Wie der Todesschütze Karl-Heinz Kurras
jahrelang den West-Berliner Staatsschutz narrte ..... 34
Finanzen: Deutsche Kommunen verspekulierten
sich mit riskanten Leasing-Geschäften .................. 38
Rechtsextreme: Brandenburgs erfolgreicher
Widerstand gegen den braunen Mob ..................... 42
Zeitgeschichte: Wer befahl den Mauerbau? ....... 44
Kirche: SPIEGEL-Gespräch mit dem Augsburger
Bischof Walter Mixa über göttliche Strafen und
die Wirtschaftskrise als Folge des Sündenfalls ....... 46
Familien: Politiker und Wissenschaftler wollen
in der Krise das Kinderkriegen fördern ................. 49
Merkel
in Berlin Seite 34
Die Nachricht, dass der Todesschütze des
Studenten Benno Ohnesorg für die Stasi
arbeitete, löste in der vorigen Woche eine
republikweite Debatte aus. Jetzt belegen
neue Akten, wie kaltblütig der Polizist Karl-
Heinz Kurras alias „Otto Bohl“ seine eige-
nen Kollegen täuschte. Die hatten jahrelang
vergebens nach der undichten Stelle in den
eigenen Reihen gesucht – und waren Kurras
gefährlich dicht auf den Fersen.
Gesellschaft
Szene: Bildband über die Orte eines jüdischen
Lebens in der Nazi-Zeit / Studie über Linkshänder ... 50
Eine Meldung und ihre Geschichte – warum ein
Fußballfan eine Papierkugel ersteigerte ................. 51
Prostitution: Vorzeigebordell im Zwielicht .......... 52
Ortstermin: In München treffen mit Heidi Klum und
McDonald’s zwei Illusionskünstler zusammen ......... 57
Ehepaar Kurras 1967
Die PR-Tricks der Bahn Seite 78
Um das angeschlagene Image ihres Unternehmens
aufzupolieren, war den PR-Verantwortlichen der Bahn
offenbar jedes Mittel recht: In der Ära des ausge-
schiedenen Konzernchefs Hartmut Mehdorn bezahl-
ten sie dafür, das Prominente sich positiv über die
Bahn äußern. Und die beauftragten Agenturen muss-
ten ihr Unternehmen in Leserbriefen und Online-Fo-
ren wie etwa bei SPIEGEL ONLINE anpreisen.
Wirtschaft
Trends: Karstadt-Vermieter erwägt Verkauf
von Häusern / Billigflieger trotzen der Krise /
TUI startet Toskana-Projekt .................................. 60
Banken: Die Deutsche Bank ließ
nicht nur eigene Führungskräfte, sondern auch
externe Kritiker bespitzeln .................................... 62
Affären: Neue Belege belasten die ehemalige
Telekom-Spitze ...................................................... 65
Sozialpolitik: Lukrative Geschäfte mit dem
Anti-Diskriminierungs-Gesetz ............................... 66
Währung: SPIEGEL-Streitgespräch zwischen
den Ökonomen Peter Bofinger und Thorsten Polleit
über Inflation, Deflation und die Folgen
der Staatsverschuldung .......................................... 68
Finanzkrise: Briten und Osteuropäer wehren sich
gegen härtere Regeln für das Bankgewerbe ............ 72
SPIEGEL Online
Das Bordell der Gutmenschen
Seite 52
Ein Freudenhaus mit Frau-
enbeauftragten, das seinen
Mädchen die Chance auf
Selbstbestimmung bietet: Der
schwäbische Club „Paradise“
wollte so zum Musterpuff
Deutschlands werden. Es hät-
te die Antwort auf das Prosti-
tutionsgesetz werden können.
Doch nun ist der Betreiber
Zeuge in einem Prozess – es
geht um Menschenhandel.
Medien
Trends: Wahlkampf in der „Super Illu“ /
Formel 1 im Quotentief .......................................... 75
Fernsehen: Vorschau / Rückblick .......................... 76
Öffentlichkeitsarbeit: Wie die Bahn
die Medien manipulierte ........................................ 78
Ausland
Panorama: Im Fall Jukos drohen Russland
milliardenschwere Forderungen / Kampf um
Somalias Hauptstadt / Wie ernsthaft sucht
Serbien den Kriegsverbrecher Mladiƒ? ................... 81
Korea: Spiel mit der Bombe ................................. 84
Der chinesische Politologe Sun Zhe über
Pekings schwindenden Einfluss auf Pjöngjang ....... 86
Bordellbesitzer, Prostituierte
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der spiegel
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Agentenjagd
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Türkei: Das Erbe der Osmanen ............................. 90
Essay: Polens Ex-Außenminister
Adam Daniel Rotfeld über Warschaus Umgang
mit der Geschichte ................................................ 92
Nahost: Vier Monate nach dem Gaza-Krieg
klagen palästinensische
Anwälte gegen die israelische Armee .................... 94
China: Wohin es die Aktivisten vom Platz
des Himmlischen Friedens verschlug ..................... 96
Global Village: Euro-Revolution
im englischen Dunster ........................................... 98
Raketenstart Kim
Sport
Szene: Nackte Image-Werbung von
Frankreichs Fußball-Frauen / Ruanda entdeckt
den Profiradsport .................................................. 99
Fußball: Die Nationalmannschaft des Irak
als Symbol für eine friedliche Zukunft ................. 100
Die Logik des Tyrannen Seite 84
Erst der Atomtest, dann die Raketen – Nordkorea provoziert den Westen und brüskiert
seine Schutzmacht China. Im besten Fall will Diktator Kim Jong Il nur den Respekt der
Amerikaner, im schlimmsten Fall ist ihm dafür jedes Mittel recht – auch die Bombe?
Wissenschaft · Technik
Prisma: Gifteinsatz in Passagierflugzeugen /
Schnecken malen ihr Gehäuse ............................. 104
Forensik: Leichenfund in der Charité – ist
der Körper von Rosa Luxemburg aufgetaucht? ...... 106
Medizin: Die SPD will bei Ärztepfusch
die Rechte der Geschädigten stärken ................... 109
Film: Naturfotograf Yann Arthus-Bertrand
porträtiert die Erde von oben .............................. 110
Energie: Honda baut Kleinstkraftwerke
fürs Eigenheim ..................................................... 113
Der Fall Rosa Luxemburg Seite 106
Im Keller der Berliner Charité lagert eine alte Wasserleiche – der Chef der Rechts-
medizin glaubt, dass es sich um die ermordete Sozialistin Rosa Luxemburg handelt.
Indizien nähren den Verdacht, dass an ihrer statt eine andere beerdigt wurde.
Kultur
Szene: Reality-TV-Show über somalische
Piraten / Der ägyptische Unesco-Kandidat
Faruk Husni über Antisemitismus-Vorwürfe ........ 115
Kino: „Terminator“-Star Christian Bale und
die neue Humorlosigkeit des Actionfilms ............ 130
Integration: Interview mit der muslimischen
Autorin Hilal Sezgin über das Fehlen
islamischer Repräsentanten beim Gottesdienst
zum Grundgesetz-Jubiläum ................................. 132
Literatur: Der französische Autor Olivier Adam
erzählt von einem Alptraum aus Elend und Exil ... 134
Bestseller .......................................................... 135
Theater: Die Rezensions-Website
Nachtkritik.de mischt die Bühnenwelt auf ........... 136
Film: Interview mit dem chinesischen
Regisseur Lu Chuan über die Hassattacken
gegen sein Historiendrama „Nanjing! Nanjing!“ .... 137
Nahaufnahme: Ex-Primaballerina Heather
Jurgensen steht heute hinter der Ladentheke ...... 138
am Ball Seite 100
Im Irak vereint der Fußball eine zer-
rissene Gesellschaft. Ihr Stolz ist die
Nationalmannschaft, weil das Team
aus Schiiten und Sunniten, aus Kur-
den und Arabern mit seinen Siegen
die Vision einer friedlichen Zukunft
verkörpert. Beim Confed Cup in Süd-
afrika tritt der Asienmeister gegen die
Großen der Welt an.
Straßenkicker im Irak
Briefe .................................................................... 10
Impressum, Leserservice ................................ 140
Register .............................................................. 142
Personalien ........................................................ 144
Hohlspiegel /Rückspiegel ................................ 146
Titelbild: Illustration Ludvik Glazer-Naudé für den SPIEGEL
(nach Leonardo da Vincis „La Scapigliata“, 1508)
Filmporträt der Erde
Seite 110
Der Fotograf Yann Arthus-Ber-
trand wurde berühmt mit gran-
diosen Luftaufnahmen. Jetzt hat
er die Welt mit einer Spezialka-
mera von oben gefilmt und zeigt
in bewegten Bildern die Pracht
der Natur, aber auch ihre Zer-
störung durch den Menschen.
Schluss mit prüde
Warum das Kino wieder mehr
Mut zu Sex haben sollte. Au-
ßerdem im KulturSPIEGEL:
ein ungewöhnliches Opern-
projekt in einem herunter-
gekommenen Ruhrpott-U-
Bahnhof.
Bewässerungskultur in Jordanien
der spiegel
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Botschafter
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Briefe
„Benno Ohnesorg (Opfer): Student,
1967 erschossen und seit 42 Jahren tot.
Karl-Heinz Kurras (Täter): Beamter
auf Lebenszeit, noch immer unerträgliche
Sprüche klopfend und nach wie vor
auf freiem Fuß lebend. Eine Schande
und unglaubliche Ungerechtigkeit.“
staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren.
Denn es geht hier nicht nur um die Tötung
eines Menschen, sondern auch um die Ver-
schleierung der Tat durch staatliche Stellen,
die zu einem zweimaligen Freispruch des
„GM Otto Bohl“ führten! Gerade diese Um-
stände haben in schlimmem Maße zur Ra-
dikalisierung großer Teile der gewaltlosen
politisch denkenden Studentenschaft und
letztlich zum RAF-Terror beigetragen!
Berlin
Bernd Höfer
SPIEGEL-Titel 22/2009
Prof. Eberhard Gischler aus Frankfurt am Main zum Titel
„Der Tod, die Linke und die Stasi – Die Wahrheit über den Schuss,
der die Republik veränderte“
Peter Schneider mag aus Berliner Sicht
recht haben. Doch „in der Provinz“ war es
nicht der Mord an Benno Ohnesorg. Die
Auseinandersetzung mit der Staatsgewalt
begann in Köln im Oktober 1966 mit den
Demonstrationen gegen die Preiserhöhun-
gen der Verkehrsbetriebe. In Frankfurt war
es der Häuserkampf im Westend. Beides
hat mit dem Mord nichts zu tun. Und so
wird es an vielen Orten gewesen sein.
Neumagen-Dhron (Rhld.-Pf.) Paul R. Woods
Mitglied des SDS Köln von 1968 bis 1970
Letztlich ist es egal
Nr. 22/2009, Titel: Der Tod, die Linke und
die Stasi – Die Wahrheit über
den Schuss, der die Republik veränderte
Der Mord an Benno Ohnesorg zeigt, wie
lange der deutsche Nazi-Humus sowohl in
der DDR als auch in der BRD seine obrig-
keitsgeilen Blüten trieb: Die einen schossen
auf flüchtende Landsleute, und die ande-
ren knüppelten protestierende Studenten
nieder, die nichts weiter taten, als ihre
demokratischen Rechte in Anspruch zu
nehmen.
Mönchengladbach
Wenn jetzt überhaupt etwas neu zu bewer-
ten ist, dann doch wohl die Frage, ob die da-
malige Justiz der Bundesrepublik Deutsch-
land diesen Mann, der Ohnesorg von hinten
hinrichtete, angesichts der nun vorliegen-
den Hintergründe zu seiner Person freige-
sprochen hätte. Und genau das ist natürlich
keine Frage – er wäre niemals freigespro-
chen worden. Und dort liegt doch der Skan-
dal: dass ein Student von einem Vertreter
des Staates hingerichtet und der Mörder frei-
gesprochen wird. Daran ändern die neuen
Fakten nichts, sie schärfen nur den Blick
darauf, dass der Mann nur deshalb geschützt
wurde, weil er als (vermeintlicher) Teil des
westdeutschen Staates agiert hat. Somit ein
schöner Beleg für genau die politische Lage,
die damals zu Unruhen geführt hat.
Hamburg
Gregor Ortmyer
Schmerzhaft, aber notwendig
Nr. 21/2009, Titel: Die Komplizen –
Hitlers europäische Helfer beim Judenmord
Polizist Kurras (l.) nach Freispruch 1967
Ein schöner Beleg
Ohne die Verantwortung Nazi-Deutsch-
lands als Urheber und Exekutor des Holo-
caust zu schmälern, zeigt der exzellent
recherchierte Beitrag die Dimension des
Völkermords an den Juden Europas auf. Er
skizziert zugleich die weißen Flecken der
historischen Forschung, der sich trotz der
Fülle an Publikationen zum Thema hier
nach wie vor ein breites Betätigungsfeld
bietet. Allmählich und zumeist gegen mas-
sive Widerstände werden die komplexen
Zusammenhänge von Kollaboration und
Mittäterschaft am Holocaust in den von der
Wehrmacht besetzten oder mit Deutschland
verbündeten Staaten offenkundig. Das gilt
in besonderer Weise für viele Länder Mittel-
und Osteuropas, die sich bis heute primär
als Opfer des faschistischen Angriffskriegs
verstehen, aus dem sie schließlich als Sie-
ger hervorgingen. Die Auseinandersetzung
mit dem Phänomen der Mittäterschaft ist
zweifelsohne schmerzhaft, aber zur Über-
windung des vielerorts grassierenden Anti-
semitismus zwingend notwendig.
Frankfurt am Main Georg Heuberger
Claims Conference in Deutschland
Joachim Agüeras Netz
Die Geschichte müsste nur ergänzt werden,
wenn Kurras im Auftrag der Stasi geballert
und getötet hätte. Doch die Stasi-Unterlagen
weisen darauf hin, dass die DDR-Schlapp-
hüte höchst erschrocken waren, als sie von
der Tat ihres IM erfuhren.
Hamburg
Letztlich ist es egal, ob Kurras IM der Stasi
war oder nicht. An diesem 2. Juni 1967
schoss ein waffenfanatischer West-Berliner
Polizeibeamter in einer durch die Einsatz-
kräfte eskalierten Situation auf den Studen-
ten Ohnesorg. Für die Eskalation trägt nicht
ein Einzelner, sondern das gesellschaftliche
Klima dieser Zeit die Verantwortung. Von
daher ist die gesellschaftliche Verantwortung
vor der Geschichte unverändert, egal ob
Kurras nun IM war oder nicht. Erschreckend
am Fall Kurras ist viel eher, dass er in beiden
Systemen Karriere machen konnte, von bei-
den Systemen gedeckt wurde.
Leipzig Thomas Dudzak
StudentInnenRat der Universität Leipzig
Nils von der Heyde
SPIEGEL ONLINE Forum
Die weiteren Ermittlungen sollte man nicht
dem Häuflein Historiker überlassen, die den
Stein dankenswerterweise ins Rollen brach-
ten, sondern einem parlamentarischen Un-
tersuchungsausschuss, wenn nicht einem
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• Titel Was führt zum Glück?
www.spiegel.de/forum/Glueck
• Nordkorea Die neunte Atommacht – Sanktionen ver-
schärfen oder verhandeln? www.spiegel.de/forum/Atom
• Familie Geburtenflaute – Kann die Politik die Menschen
in der Wirtschaftskrise zum Kinderkriegen überreden?
www.spiegel.de/forum/Krisenkinder
Als ich die Schockenthüllungen über Kur-
ras las, kam mir in den Sinn, dass es gar
nicht so unwahrscheinlich war, was wir de-
monstrierenden Studenten im Laufschritt
vor dem Springer-Hochhaus damals als
größte Absurdität ironisch skandierten:
„Wir kommen alle aus dem Osten, Walter
Ulbricht zahlt die Kosten.“
Hamburg
Gerald Böhnel
10
der spiegel
23/2009
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Zgłoś jeśli naruszono regulamin