Walser Martin - Dorle und Wolf.pdf

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Martin Walser
Dorle und Wolf
Eine Novelle
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1.
Man muß, wenn man etwas zu verbergen hat, mehr tun, als man
selber für nötig hält. Obwohl Wolf wußte, daß ihn niemand
beobachtete, benahm er sich, als müsse er jemanden, der ihn
ununterbrochen beobachtete, von seiner Harmlosigkeit überzeu-
gen. Er pfiff, zum Beispiel, öfter vor sich hin. Wenn er aus dem
Omnibus stieg, überquerte er noch die wirklich nicht leicht zu
überquerende Trierer Straße, stellte sich drüben vor die Schau-
fenster der Gärtnerei, besah auch die Topfgewächse, die auf dem
Trottoir ausgestellt waren, mit deutlicher Zuneigung. Man sollte
ihn für einen Blumenfreund halten. Wenn man ihn beobachtete.
Aber man beobachtete ihn ja gar nicht. Vielleicht war er als Dor-
les Mann gelegentlich einer sogenannten Sicherheitsprüfung
unterworfen worden. Eine Zeitlang hatte er den auf dem glei-
chen Stock wohnenden Herrn Ujfalussy für einen Spitzel gehal-
ten. Aber der war doch wirklich nur Mathematiker. Und Jungge-
selle. Das schon.
Heute kaufte Wolf sogar etwas in der Gärtnerei. Nicht weil das
zum Blumenfreund gehört, sondern weil Dorle Geburtstag hatte.
Eine Phalaenopsis kaufte er und trug die für ihren langen Sten-
gel viel zu große weiße Blüte wie durch einen Sturm über die
Trierer Straße zurück. Heute wünschte er sich geradezu, beob-
achtet zu werden. In der Querstraße, die vor Nr. 47 von der Trie-
rer abgeht, entdeckte er Dorles Auto. Dorle arbeitete in der
Küche. Er stellte die Phalaenopsis an ihr vorbei, vor sie hin.
Dorle gab einen Laut von sich, als tue etwas wunderbar weh. Er
sagte: Ich gratuliere dir zu deinem 35. Geburtstag, und wenn es
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dir recht ist, will ich dich lieben wie bisher oder noch mehr. Es
sei ihr recht, sagte Dorle. Wie bisher oder noch mehr, fragte
Wolf. Dorle: Noch mehr, wenn ich bitten darf. Er führte sie aus
der Küche ins Schlafzimmer, stellte sie vor den großen Spiegel
und sich hinter sie und legte ihr den Schmuck um, den er für sie
gekauft hatte. Zwei goldene Schienen, die sich dann einem grü-
nen Stein zuliebe auseinanderbogen und sich unter dem Stein
wieder trafen. Amerikanisch, hatte der Verkäufer gesagt, etwa
1905. Auf jeden Fall schön. Dorle gab, als der Schmuck plaziert
war, einen noch viel innigeren Schmerzlaut von sich. Wochen-
lang hatte Wolf die Heimfahrt von der Schlegelstraße am Bahn-
hof unterbrochen und war durch die Stadt gegangen, bis er die-
ses Stück gefunden hatte. Er hätte lieber gestanden, daß er nichts
gefunden habe, als etwas zu kaufen, das ihm nicht ohne Ein-
schränkung gefiel. Dorle blieb noch eine Zeit lang in seinem
Arm. Gemeinsam schauten sie in den Spiegel, schauten den
Schmuck an und einander. Daß etwas so schön sein kann, sagte
Wolf. Ab in die Küche, sagte Dorle, um halb neun kommt Dr.
Meißner mit Gattin. Wolf duschte sich, zog sich um, er würde
die Salate machen. Aber um sieben mußte er die Küche schon
wieder verlassen, das Radio auf Kurzwelle schalten, den Dechif-
frierblock aus der Matratze holen. Als der vierte der Vier ernsten
Gesänge von Brahms ertönte, saß er vor dem Apparat. Dann kam
seine Nummer 17-11-21, dann die Zahlen, die er mitschrieb und
dann übersetzte. Schließlich kam er mit drei Zetteln in die
Küche. Er war aufgeregt. Der General hatte Dorle herzliche
Glückwünsche zum Geburtstag gesendet. Dorle freute sich nicht,
sie erschrak. So seien die Guillaumes aufgeflogen! Ein Geburts-
tagsgruß für die Frau des Empfängers! Der Code bekannt! Also
wird der Computer gefragt, wer von allen in den Bonner Ämtern
Beschäftigten hat eine Frau, die an diesem Tag Geburtstag hat!
Wolf sagte, daß sein Code überhaupt nicht zu knacken sei, weil
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derselbe Code kein zweites Mal verwendet werde. Er war stolz
auf seine Erfindung, den gleitenden Code. Nur er und ein einzi-
ger Chiffrierer in der Normannenstraße in Ostberlin kannten das
von Wolf ausgearbeitete System. Aber Dorle ließ sich nicht beru-
higen. Ich weiß, sagte Wolf und zog sie heftig an sich. Er war
viel zu schwach. Er konnte Dorle nicht schützen. Er brauchte
Glück, sonst war er verloren. Wer Glück braucht, ist verloren. Er
nicht. Er war nicht verloren. Es gibt eben Momente, da fängt
man an zu zittern, ist beherrscht von dem Gefühl, die Welt
könne einen jederzeit zerschlagen und gleich werde sie es tun.
Wenn Dorle wüßte, wie schwach er war. Das durfte sie nicht
merken. Nie.
Habt ihr tüchtig gefeiert, fragte er. Dorle sagte, Sylvia Wellers-
hoff habe sich wieder schrecklich aufgeführt. Ihr drittes Stück
Kuchen habe sie von dem noch unangeschnittenen Erdbeerku-
chen gewollt. Dr. Meißner, der die Kuchen aufschnitt, habe, da
es bald fünf war und alle schon zwei Stücke gehabt hatten, den
Erdbeerkuchen wegen eines Stücks nicht mehr anschneiden wol-
len. Ich will aber von dem, habe Sylvia gesagt. Dr. Meißner habe
Dorle hilfesuchend angesehen. Dorle habe gesagt: Manche müs-
sen eben von allem haben. Darauf Sylvia: Sie gönnt mir nichts,
unsere Schwäbin. Darauf Dorle: Oberschwäbin, bitte. Es sei
furchtbar gewesen.
Was Dorle erzählte, war alles andere als furchtbar. Aber für
Dorle war alles, was Sylvia tat, furchtbar. Sylvia suchte Gelegen-
heiten, für Dorle furchtbar zu sein. Schlagen müßte er Sylvia.
Wie denn sonst sollte er erreichen, daß sie Dorle in Ruhe ließ.
Jedesmal wenn er bei Sylvia war, versprach sie, Dorle zu mei-
den, zu schonen, überhaupt nichts mehr zu tun, was Dorle krän-
ken konnte. Aber immer wieder mußte sie auftrumpfen, mußte
Dorle spüren lassen, daß sie Macht hatte über Wolf. Wahrschein-
lich ahnte sie, daß er zu Dorle sagte, er gehe zu Sylvia nur, weil
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sie ihm die Protokoll-Kopien liefere. Er ging auch nur deswegen
zu ihr. Sylvia aber glaubte, es sei mehr zwischen ihnen. Und das
mußte sie Dorle spüren lassen. Noch nie hat jemand eine Macht
unausgeübt gelassen.
Entschuldige, sagte Dorle.
Das war das Härteste. Sie entschuldigte sich bei ihm! Wenn
sich jemand entschuldigen müßte…
Aber das konnte er nicht sagen. Er zeigte ihr den zweiten Zet-
tel. Er ist befördert worden. Major der Nationalen Volksarmee
ist er jetzt. Oh, sagte sie. Ach Wolf, sagte sie. Sie gratulierte. Das
ist die Quittung für MRS 902, sagte Wolf. Aber es fehlt noch
etwas. Er müsse sofort hinunter ins Telephonhäuschen, diesen
entsetzlichen Dr. Bruno anrufen. Daß der endlich spure. Er
arbeite sich kaputt, sagte Dorle, für eine Beförderung, von der er
nichts habe. Jetzt versuchte er, traurig auszusehen.
Das sollte sie merken. Was sie gesagt hatte, hieß, sie werde,
auch wenn seine Arbeit hier getan sei, nicht mit ihm gehen, hin-
über, über die Grenze. Sie sagte wieder: Entschuldige. Sie sei
heute empfindlich, sagte sie. Kurz vor fünf sei Dr. Meißner noch
zum Minister gerufen worden. Bevor er hinauf sei, habe er sie
noch gebeten zu bleiben, bis er zurückkomme. Extra in sein Zim-
mer habe sie ihm folgen müssen. Von der Geburtstagsrunde
weg. Er habe sie gefragt, ob sie mit nach Brüssel wolle, in zwei
Wochen. Zu der Nato-Tagung, sagte Wolf. Bevor Dr. Meißner
beim Minister gewesen sei, sagte Dorle, habe er angedeutet, wie
gern er möchte, daß sie mitfahre nach Brüssel; nachdem er vom
Minister zurückgekommen sei, habe er das überhaupt nicht
mehr erwähnt. Er sei wirklich verändert zurückgekommen.
Irgendwie verdattert oder fassungslos oder…
Halt, halt, sagte Wolf. Phantasien in dieser Rich tung sind uns
nicht gestattet, das weißt du. Ich könnte dir jetzt sagen: der neue
Minister, vier Wochen im Amt, läßt Dr. Meißner kommen und
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